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27. Dezember 2007. Analysen: Kunst & Kultur - Indien The Journey of Girlfriends since Fire

Die Repräsentation lesbischer Liebe im indischen Kino

In den gut 10 Jahren seit Mitte der 1990er beschäftigten sich im indischen Filmuniversum nur drei Filme mit lesbischer Liebe, wovon zwei von Non-Resident Indians gedreht wurden. Es handelt sich um ein heikles Thema und es blieb nicht ohne Folgen, als es mit dem Film "Fire" (1996) erstmalig auf die Leinwand gebracht wurde. Die Entwicklung seither ist von zwei Filmen begleitet, die auf ganz unterschiedliche Weise den Prozess der Selbstorganisation lesbischer Frauen und der gesellschaftlichen Öffnung gegenüber dem Thema zeigen: "Girlfriend" (2004) und "The Journey" (2004).

Sexualität generell und damit auch Homosexualität im Speziellen war in Indien in der Vergangenheit ein kaum diskutiertes Thema. Die einzige akzeptierte sexuelle Orientierung war heterosexuell, spielte sich innerhalb der Ehe ab und war männlich dominiert. Da die Geschlechterrollen fest definiert waren, war eine Lebensgestaltung außerhalb des traditionellen patriarchalischen Familienkonzepts schwierig oder gar unmöglich - im Besonderen für Frauen.

Szenenfoto 2: The Journey
Szenenfoto aus "The Journey (Sancharram)" Foto: Ligy Pullappally / www.thejourney-themovie.com

Die gesellschaftliche Situation spiegelte sich auch im Kino wider, wo gleichgeschlechtliche Liebe hauptsächlich durch Abwesenheit glänzte. Nachdem die Filmhandlungen lange Zeit vor allem männerzentriert waren, veränderte sich in den 1990ern die Repräsentation der Frau, die nun durchaus auch die Rolle der Protagonistin einnehmen konnte. Dabei blieb ihre Darstellung jedoch meist den gesellschaftlichen Normen verhaftet. Wie ihr mythologisches Vorbild Sita soll sie treu, liebevoll und dem Mann vor allem sexuell, untergeordnet sein. Lesbische Liebe stellt somit einen doppelten Tabubruch dar: der Frau wird eine selbstbestimmte und vom Mann unabhängige Sexualität zugesprochen.

Ebenfalls seit den 1990er Jahren erfuhr Indien eine verstärkte Selbstorganisation verschiedener queerer 1 Gruppen mit Schwerpunkten wie Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit und psychologischer Beratung. Dieses Engagement und die Veränderungen in der Medienwelt bildeten der Nährboden für eine Entwicklung, die mit Fire einen Anstoß erhielt.

Ein Film als Katalysator

"Fire" spielt in Delhi in einer Hindu-Mittelschichts-Familie. Sita (Nandita Das) wird mit Jatin (Javed Jaffrey) verheiratet, der sich hauptsächlich seiner außerehelichen Affäre widmet. Sie ziehen zu seinem Bruder Ashok (Kulbhushan Kharbanda) und dessen Frau Radha (Shabana Azmi). Da Radha keine Kinder bekommen kann, hat sich auch ihr Mann nach und nach von ihr abgewendet. Enttäuscht von ihren Ehen, kommen sich Sita und Radha näher. Als die beiden in flagranti ertappt werden, eskaliert die Situation und die beiden Frauen entfliehen der Familie.

Szenenfoto: Fire
Shabana Azmi and Nandita Das in "Fire" Foto: Deepa Mehta / promo

Wie ein roter Faden durchziehen die gesellschaftlichen Schranken und die vorgegebenen Rollen den Mikrokosmos der Familie. Die einzelnen Charaktere sind keineswegs einfach gestrickt und die zwischenmenschlichen Beziehungen vielschichtig und nicht ohne Widersprüche. Sexualität, und vor allem ihre gesellschaftliche Tabuisierung, spielt dabei in allen Bereichen eine Rolle. Deepa Metha bricht dieses Tabu durch die Liebe zwischen den beiden Frauen, die noch dazu mythologisch aufgeladene Namen tragen: Sita, das Ideal einer treu ergeben Frau, und Radha, die hingebungsvolle Verehrerin und Geliebte Krishnas. Desgleichen spiegelt die Optik des Films kein idealisiertes Hochglanz-Indien wider, sondern vermittelt eher Alltäglichkeit, allerdings ohne dabei auf ästhetische Bilder und stimmungsvolle Musik zu verzichten.

Nachdem "Fire" bereits international zu sehen war und mehrere Preise gewann, wurde er ab November 1998 in ganz Indien gezeigt. Die Vorstellungen waren gut besucht und einige Kinos veranstalteten extra Frauenvorstellungen. Erst einige Wochen später kam es in mehreren indischen Städten zu gewalttätigen Protesten von verschiedenen hindu-nationalistischen Vereinigungen, allen voran der Shiv Sena 2 . Die Ablehnung und Verurteilung des Films wurde vor allem damit begründet, dass Homosexualität kein Teil der indischen Kultur sei, sondern ein Import aus dem Westen. Die Debatte um "Fire" war in aller Munde und schaffte es sogar, die Tagesordnung des Parlaments zu dominieren.

Die Ausschreitungen gegen den Film veranlassten die Befürworter des Films, ebenfalls auf die Straße zu gehen. Homosexuelle erreichten eine bis dahin nie da gewesene öffentliche Sichtbarkeit. Es kam es zur Gründung verschiedener Initiativen und Vernetzung mit Organisationen aus dem Menschenrechtsbereich. "Fire" und die Debatte darum, wurde so zum Katalysator für die lesbische und für die queere Bewegung im allgemeinen.

Anderer Film, gleiches Spiel

Während Deepa Mehta unter anderem die Liebe der beiden Frauen als Mittel zum Zweck nutzte, um einen Diskurs über gesellschaftliche Schranken zu erzeugen, 3 der dann ungeahnte Ausmaße annahm, wurde der Film "Girlfriend" explizit als lesbischer Film mit starker Betonung auf dem sexuellen Aspekt vermarktet und zielte geradezu auf die absehbare Sensationswirkung ab.

Gemeinsamkeiten der beiden Filme sind auch sonst schwer auszumachen, weder in der Art der Geschichte noch in der Ästhetik der Darstellung. Es handelt sich um eine Dreiecksbeziehung zwischen zwei Freundinnen und einem Mann: Als sich Sapna (Amrita Arora) in Rahul (Ashish Chowdhary) verliebt, wird ihre lesbische Freundin Tanya (Isha Koppiker) eifersüchtig und versucht die beiden auseinander zu bringen. Im Laufe des Films wird sie geradezu besessen von dieser Idee und versucht mit Lügen und Intrigen ihr Ziel zu erreichen. Am Ende jedoch stürzt sie bei einem Kampf mit ihrem Kontrahenten Rahul dramatisch aus dem Fenster und wird so dem Happy End geopfert.

Foto: Girlfriend - The Movie
Dreiecksbeziehung: Girlfriend Foto: www.girlfriendthemovie.com

Der Film ist ein leicht verdaulicher Genre-Mix aus Lovestory und Actionfilm, mit einer gehörigen Portion sexueller Anspielungen – manche Szenen haben die Anmutung eines Softpornos. Dabei bleibt die Vielschichtigkeit der Charaktere und die Komplexität der Handlung auf der Strecke. Es werden eingleisige Schlussfolgerungen gezogen, wie zum Beispiel die Homosexualität Tanyas, die logischer Weise aus der sexuellen Misshandlung in ihrer Kindheit herrührt und damit zu einer Art psychischen Krankheit degradiert wird. Getreu dem Bild einer Klischee-Lesbe macht sie Kampfsport und ist extrem "tough". Dabei wird sie aber so sexy wie aus einem Pin-up-Kalender inszeniert.

Ähnlich wie bei "Fire" protestierten die Shiv Sena und andere hindu-nationalistische Organisationen gegen den Film: Sie hinderten Zuschauer am Hineingehen, verbrannten Plakate und verwüsteten Kinos. Im Gegensatz zu "Fire" erntet der Film jedoch auch aus queeren Kreisen scharfe Kritik: Sie fühlten sich nicht repräsentiert, ja geradezu diskreditiert. Der Film reduziere gleichgeschlechtliche Liebe lediglich auf Erotik und Sex und er bediene und verstärke vorherrschende Klischees und Vorurteile.

Betrachtet man "Fire" und "Girlfriend", zwei Filme, die außer der Tatsache, dass sie irgendwie das Thema lesbische Liebe thematisieren, kaum Gemeinsamkeiten haben, so ist zu bezweifeln, dass die Teilnehmer der Ausschreitungen die Filme überhaupt gesehen haben. Es drängt sich die Vermutung auf, dass die gewalttätigen Proteste von Hindu-Nationalisten zwar dieses Thema als Aufhänger hatten, sonst aber mehr als Mittel zum Zweck dienten, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Vor allem, da "Fire" bereits drei Wochen in den Kinos zu sehen war, bevor dann, nach den verlorenen Landtagswahlen und mit Ausblick auf den Jahrestag der Zerstörung der Babri Masjid in Ayodhya, die landesweiten Protestaktionen begannen. Auch wenn die gewalttätigen Ausschreitungen vorwiegend von extrem rechter Seite organisiert wurden, verurteilten die Stimmen aus der BJP den Film mit den gleichen Argumenten und rechtfertigten somit die Gewalt.

Happy End-lich …

Vor dem Hintergrund der tragischen Selbstmorde lesbischer Frauen in ihrem Geburtsort in Kerala, wollte Ligy J. Pullappally mit ihrem Film "The Journey" eine positive Darstellung der Homosexualität präsentieren. 4 Der Film erzählt die Geschichte einer Mädchenfreundschaft, die sich durch eine Identitätsverwechslung à la Cyrano de Bergerac zu einer romantischen Liebschaft entwickelt. Kiran (Suhasini V. Nair) - zurückhaltend, aber ihrer Gefühle sicher - schreibt für einen Schulkameraden Liebesbriefe an ihre Freundin Delilah (Shruiti Menon). Durch die poetischen Briefe finden sich die beiden Mädchen und beginnen eine verbotene Beziehung. Als diese entdeckt werden, beschließt Delilahs Familie, sie zu verheiraten, um ihr Gesicht zu wahren. Delilah beugt sich dem Entschluss, während Kiran das Dorf verlässt - mit dem hoffnungsvollen Blick auf ein neues Leben ohne Geheimnisse. So entlässt der Film den Zuschauer zwar nicht mit einem Happy End, aber mit einem positiven, zuversichtlichen Gefühl.

Szenenfoto 1: The Journey
Szenenfoto aus "The Journey (Sancharram)" Foto: Ligy Pullappally / www.thejourney-themovie.com

Im Gegensatz zu "Fire" spielt der Film in der ländlichen Idylle Keralas und ist dementsprechend in Malayalam gedreht. Doch die poetisch-paradiesischen Bilder und der nachbarschaftliche Zusammenhalt kann nicht über die gesellschaftlichen Schranken und Erwartungen hinwegtäuschen, in denen die Charaktere verstrickt sind. Die Darstellung der Liebesbeziehung ist dabei nicht provozierend, sondern konzentriert sich auf die tiefen Gefühle und Innigkeit zwischen den beiden Mädchen und die zärtlichen Annäherungen sind in biblische Metaphern eingebettet. So bringt Delilah Kiran einen Henkel Trauben zum Essen in Anlehnung an die Frucht der Erkenntnis, und die Badeszenen im Tempelbecken lassen Assoziationen zur Taufe zu.

Auf indischen Filmfestivals wurde der Film nahezu ausschließlich positiv aufgenommen und gewann sogar einige Auszeichnungen. In Kerala selbst gab es kritische Stimmen, die befürchteten, ihre Gesellschaft werde durch den Film zu stark mit dem Thema Homosexualität in Verbindung gebracht und er verleite ihre Kinder zu gleichgeschlechtlicher Liebe. Queere Aktivisten hingegen lobten den Film für seinen Fokus auf die schwierige Situation lesbischer Frauen jenseits der Städte und der dort bestehenden Netzwerke. Der Regisseurin war es wichtig, einen Schritt weiter als "Fire" zu gehen und die Liebe nicht aus der Unzufriedenheit in der Ehe heraus entstehen zu lassen, sondern als bewusstes Bekenntnis zur eigenen Sexualität darzustellen.

Hoffnungsvolle Weiterreise

Betrachtet man die Auswirkungen der besprochenen Filme, so fällt auf, dass es zum einen positive Auswirkungen auf die Sichtbarkeit des Themas sowie auf die Lebenssituationen lesbischer Frauen selbst gab, zum anderen aber auch Repräsentationen wie in "Girlfriend", die als falsch und negativ wahrgenommen wurden, da sie Klischees und Vorurteile bedienen und zementieren.

Was die weiter reichenden Konsequenzen der Filme angeht, so scheinen diese nicht unbedingt im direkten Zusammenhang zu stehen mit der Art der Darstellung. Hier springt vor allem die Unterschiedlichkeit von "Fire" und "Girlfriend" ins Auge, die aber trotzdem beide auf gewalttätige Ablehnung stießen. Betrachtet man hingegen die Reaktionen auf die beiden Filme aus den queeren communities, von Menschenrechtsaktivisten oder von eher links orientierten Kulturschaffenden, so sind diese stärker an die Handlung und Ästhetik der Filme geknüpft, während die Proteste aus den Reihen der Hindu-Nationalisten hauptsächlich auf das Thema Homosexualität allgemein abzielen und politisch motiviert sind.

Ohne die Pionierfunktion von Fire und die dadurch ausgelöste Debatte wäre ein Aufbegehren gegen die Missrepräsentation in "Girlfriend" nicht möglich gewesen und auch die bewusst neu gewählten Wege in "The Journey" sind ein Resultat der vorhergegangenen Entwicklung.

Schlussendlich ist die Repräsentation lesbischer Liebe im indischen Film, obwohl begrenzt, ohne Zweifel wichtig für den Emanzipationskampf der Homosexuellen in Indien generell. Trotz ganz unterschiedlicher Ausgangspositionen, filmischer Mittel, Darstellungen und Auswirkungen, haben die drei Filme einen wichtigen Teil zur Veränderung beigetragen. Die von den Filmen ausgelösten Debatten gaben nicht nur Anlass; an die Öffentlichkeit zu treten; sondern ermutigten auch, diese neu gewonnene Sichtbarkeit zu nutzen, um die rechtliche und gesellschaftliche Situation Homosexueller zu verbessern. Im September letzten Jahres reichten indische Intellektuelle, angeführt von Vikram Seth, eine Petition zur Änderung des Paragrafen 377 ein, ein Gesetz aus Kolonialzeiten, das "unnatürlichen" Sex unter Strafe stellt und somit Homosexualität kriminalisiert. Mit ihm hoffen nun viele Homosexuelle auf eine positive Entscheidung des Obersten Gerichts – ein optimistischer Ausblick in eine ungewisse Zukunft.

 

 

Fußnoten

[ 1 ] Der in Indien häufig gebrauchte Begriff "Queer" bezeichnet alle, die nicht in die heterosexuelle Norm passen: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle/-gender, Hijras etc.

[ 2 ] Hindu-nationalistische/-faschistische Organisation mit Schwerpunkt in Maharashtra.

[ 3 ] "My idea really is, that there can be a dialogue about the issue. I didn't make the film to shock somebody. I didn't make the film to do a thesis on lesbianism -- I am not interested in those things. It is a film about loneliness. It is a film about the hypocrisy of our society today. It is a film about how women don't have choices in a patriarchal set-up. … Fire is about a lack of choices. Why doesn't anyone talk about that? Every character in the film, whether male or female, is a victim of society's rules and regulations." Deepa Metha im Interview mit Suhasini Haidar, 10.12.1998.

[ 4 ] "I made this film in Kerala in the Malayalam language because it is very much a Kerala story. Circumstances, like the one described in the story have happened time and time again in Kerala. In another such story, two young women tied themselves together with a dupatta and threw themselves, together, into a rock quarry. ... when I originally wrote the feature-length script I did have a suicide in there but it was so unbearably sad, I could barely take it. ... It’s not only really sad, it sends a bad message. So I took it out and I was much happier with the triumphant ending rather than that." Ligy Pullappally im Interview mit Shauna Swartz, 12.6.2005.

 

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Film in Südasien .

Quellen

Gopinath, Gayatri: "Queering Bollywood: Alternative Sexualities in Popular Indian Cinema." In: Journal of Homosexuality, Vol. 39 No. 3/4, 2000, pp. 283-297.

Gopinath, Gayatri: Impossible Desires: Queer Diasporas and South Asian Public Cultures. Durham and London: Duke University Press, 2005.

Misra, Geetanjali/Chandiramani, Radhika (Hg.): Sexuality, Gender and Rights. Exploring Theory and Practice in South and Southeast Asia. New Delhi/London, 2005.

Narrain, Arvind /Bhan, Gautam (Hg.): Because I have a voice, queer politics in India. New Delhi, 2005.

Vanita, Ruth (Hg.): Queering India, same-sex love and eroticism in Indian culture and society. New York/London 2002.

Internetquellen

Ghosh, Shohini: "From the frying pan to Fire" in: Communalism Combat , Januar 1999.

Südasien-Informationsnetz e.V.: Themenschwerpunkt: Queer South Asia. Liebe und Sexualität jenseits der Konvention, Januar 2006.

Swami, Praveen: "Furore over a film" in: Frontline, Vol. 15, No. 26, Dezember 1998.

Schwartz, Shauna: "Interview with Ligy Pullappally" in: AfterEllen, Juli 2005.

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