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27. Dezember 2007. Analysen: Indien - Geschichte & Religion Wo der Khan nicht regiert

Muslime im indischen Film – Muslime in Bollywoods Filmindustrie

"Menschen wie wir werden in diesem Land nie wie die anderen sein, wir werden hier nie akzeptiert werden." In "Rang de Basanti" spricht diese Worte Aslams Vater. Aslam ist ein gut aussehender muslimischer junger Inder. Er ist ein Sympathieträger. Seine Darstellung bricht mit einem Klischee muslimischer Charaktere in indischen Filmen. Er ist kein mit schlecht sitzendem Bart versehener Qawwallisänger oder Angehöriger der Unterwelt, kein Imam, kein Dichter und kein Terrorist. Er ist ein Student in Neu-Delhi.

"Ich war nie wie ihr und ich werde auch nie wie ihr sein." So antwortet Aslam auf den oben genannten, geradezu formelhaft wiederholten Satz, der von indischen Muslimen nicht nur im Film gesagt wird. Damit gelingt es dem Regisseur Rakesh Omprakash Mehra beispielhaft aufzuzeigen, welche Positionen es unter den muslimischen Indern zu ihrer Integration in der indischen Gesellschaft gibt. Erweckt der besorgte Vater trotz seiner Strenge Mitgefühl, so stellt der Bruder, schlecht sitzender Bart, eine extreme Position dar. Er erinnert nicht nur im Aussehen an einen Fundamentalisten. Während Aslam im zeitgenössischen Film eher ein neues Phänomen darstellt, sind die beiden anderen muslimischen Charaktere häufig gesehene Gäste in indischen Mainstreamfilmen.

Filmposter "Rang De Basanti"
Filmposter zu "Rang De Basanti" Foto: promo

"Rang de Basanti" (2006) gelingt es durch den Kunstgriff eines "Films im Film" über den indischen Unabhängigkeitskampf, die Diskussion über Indien und seinen Umgang mit den Minderheiten aufzugreifen und ihr eine historische Dimension zu verleihen. Während in Ashutosh Gowarikers "Lagaan" eine Dorfgemeinschaft des 19. Jahrhunderts, in der Angehörige von Kasten und Religionen verschiedenster Art koexistieren und die Briten in einem Kricketmatch schlagen, spielt "Rang de Basanti" in der Gegenwart. Die Charaktere sind modern und säkular. "Rang de Basanti" stellt in Bollywood eine Ausnahme dar, ebenso "Lagaan" (2001). Es wird sich zeigen, ob es Nachahmer geben wird. Beide Filme haben Aamir Khan als Hauptdarsteller, was ihn nicht daran hinderte, in "Fanaa" (2006) einen muslimischen Kashmiri-Terroristen zu spielen.

Während in den Filmen "Raj" regiert, gehört der "Khan" zu den Regenten Bollwoods. Im kommerziellen Hindi-Kino spielen muslimische Inder nicht nur als Stars eine große Rolle, sondern auch in vielen anderen elementaren Bereichen der Filmindustrie, wie z.B. Musik und Textkomposition. Doch fällt bei näherer Beobachtung auf, dass vor allem die (männlichen) muslimischen Filmstars kaum einen muslimischen Helden spielen. Der Held heißt immer noch Raj. Dieser Held aber wird verkörpert von einem Muslim. Raj ist der Inbegriff für die Charaktere der 1990er Jahre, die vor allem Shah Rukh Khan berühmt gemacht haben. In diesen Filmen spielt er meist einen traditionsbewussten, aber modernen urbanen hinduistischen Inder, der Raj heißt. In seiner beinahe zwanzigjährigen Karriere hat er dagegen nur zweimal einen Muslim gespielt.

Einige der größten Stars des Landes sind muslimische Inder. Die Khans, Aamir, Salman und Shah Rukh, haben in den 1990er Jahren das indische Kino aus seiner Krise herausgeholt und ihm zu einem weltweit ungeahnten Erfolg verholfen. Indische Filmstars heiraten gemischt religiös, Muslime spielen Hindus, Christen, Sikhs, und umgekehrt. Songtexter, Komponisten, Sänger bilden gemischt religiöse Teams.

Die nonchalante Art, mit Religion umzugehen ist seit den Anfängen ein charakteristisches Merkmal des indischen Films gewesen. Allerdings heißt das nicht, dass damit Darstellungen ausgeschlossen seien, die genau das Gegenteil postulieren. Sunny Deol-Filme, die ultranationalistisch und antimuslimisch sind, wie z.B. sein Kassenschlager "Gadar: Ek Prem Katha" (2001), zogen etliche solcher Filme nach sich. Sie wurden ebenso begeistert geschaut wie Filme, in denen Religion unkommentiert bleibt und als positiver Teil des Alltags dargestellt wird. In dem blutrünstigen Film "Gadar" - ein Sikh heiratet während der Teilung Indiens eine Muslimin - soll der Hauptdarsteller Sätze wie "Hindustan murdabad" (Tod Indien) sagen, wenn er aus Liebe zu seiner Frau zum Islam konvertiert, als ob dies ein Bestandteil des Glaubensbekenntnisses sei.

Bollywood bewegt sich also zwischen den Extremen des holzschnittartig gezeichneten Muslims, der sich zwischen höfischer Nawabkultur und islamistischem Terror befindet. Zwar gibt es Filme, die sich um einen säkularen Tenor bemühen, aber oft kommen Muslime schlicht und einfach nicht vor, genauso wenig wie andere Minderheiten. Wenn sie vorkommen, dann sind sie entweder sehr gut oder sehr böse, aber selten normal. Sie bleiben häufig Exoten.

Der Regisseur Nagesh Kukunoor geht dagegen einen anderen Weg. Er siedelt zwei seiner erfolgreichsten Filme, "Dor" (2006) und "Iqbaal" (2005), in muslimischen Milieus an. Religion ist nur einer von vielen Faktoren im Leben seiner Charaktere. Aber auch er verortet sie in ländlichen Regionen. Ein urbaner Muslim wird selten außerhalb des Konfliktfeldes Muslim-Hindu charakterisiert.

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Filmposter "Main Hoon Na"
Shah Rukh Khan auf dem Filmposter zu "Main Hoon Na" Foto: promo

Die Teilung Indiens ist und bleibt das beherrschende Motiv im Umgang mit den Muslimen. Das äußert sich auch im Film. Ein gelungenes Beispiel für einen Unterhaltungsfilm, der ein ernsthaftes Thema mit gebührendem Respekt behandelt, ist "Main Hoon Na" (2004) von Farah Khan. Die beiden muslimischen Topstars des Landes, Naseeruddin Shah und Shah Rukh Khan, spielen hinduistische Angehörige der indischen Armee. Sunil Shetty spielt den Terroristen, der -Achtung!- kein Muslim ist. Er ist ein Ex-Soldat der indischen Armee, der Muslime aus rein persönlichen Gründen hasst. Sein Hass bezieht sich auch auf die Inder, die an einem Friedensprojekt zwischen Indien und Pakistan arbeiten, das er sabotieren möchte. Farah Khan schafft es in diesem Meisterwerk des Popkornkino trotzdem, eine Botschaft zu vermitteln, die sehr bewegend ist; spätestens wenn sie den indisch-pakistanischen Gefangenenaustausch zeigt, ist die Botschaft klar.

Indiens Grand Seigneur des Films, Regisseur Yash Chopra, ist selbst Opfer der Teilung. Er setzt in seinem letzten Film "Veer & Zaara" (2004) ein Denkmal für eine gemeinsame Zukunft von Muslimen und Hindus. Wobei der Held (Shah Rukh Khan) einen Sikh verkörpert. Nur verlagert er die Problematik aus der indischen Gesellschaft heraus auf ein binationales Problem, welches gleichzeitig auch ein innerindisches Problem ist, nämlich die Beziehung zu Pakistan.

Zum einen steht der Vorwurf, Indiens Muslime seien Schuld an der Teilung, im Raum und zum anderen wird ihnen die Loyalitätsfrage immer wieder neu gestellt, nach jeder indisch-pakistanischen Krise, nach jedem Attentat und vermehrt auch nach dem 11. September 2001. Dem können sich auch die Stars nicht entziehen.

Maa tujhe salaam, mera naam Khan

Cover "The Inner And Outer World Of Shah Rukh Khan"
Cover von "The Inner And Outer World Of Shah Rukh Khan" Foto: EROS / www.theinnerandouterworldofsrk.com

Viele Muslime weltweit, aber auch viele Inder jeglicher Religion sind auf den Erfolg Shah Rukh Khans stolz. Zur 60-jährigen Unabhängigkeit konnte man ihn in die indische Fahne gehüllt als Verkörperung des indischen Traums einer säkularen Gesellschaft in der Times of India betrachten. Als einziger der Khans bekennt er sich offensiv zu seiner muslimisch-indischen Identität. "Er hat es geschafft, dass es cool klingt, inshallah und mashallah zu sagen", so Javed Akhtar über Shah Rukh Khan. "The Inner and Outer World" ist ein Dokumentarfilm von Nasreen Munni Kabir, die den Schauspieler in seinem privaten Alltag und Stardasein porträtiert. Eine der Schlüsselszenen in "Inner World" ist eine Gebetszeremonie. Hinduistische und muslimische Tradition finden Platz auf dem Hausaltar, die Kinder von Khan sprechen das Gayatri Mantra ebenso wie die Basmala und Fatiha.

In dieser, mit wachem Blick gefilmten Dokumentation wird Khan auch einmal beim Gebet in seiner Schulkirche gezeigt, beim muslimischen Gebet vor dem Grab seiner Eltern und beim Diwali-Fest. Vor allem in Einwanderungsgesellschaften mit muslimischen Minderheiten werden in Fanforen diese Szenen wie Mantren erzählt, da sie etwas zelebrieren, das eine Sehnsucht dieser Nachfahren nichteuropäischer Migranten darstellt. Dass es möglich ist, ein moderner säkularer Muslim zu sein, der Tradition und Moderne miteinander vereinbart. Shah Rukh Khan gibt dieser Möglichkeit ein Gesicht. Das löste in vielen Fanforen heftige Reaktionen aus, die von Sympathie, Identifikation, Begeisterung ("Ich bin genauso ein Muslim wie er. Ich glaube und bin modern.") bis zu Entsetzen ("Ich kann nicht glauben, dass dieser Mann Muslim ist. Ausgerechnet er gehört dem Islam an.") reichen.

Eine Professorin der Uni Bombay sagte mir: "Er ist so erfolgreich, weil er nicht dem Bild eines Durchschnittsmuslim in Indien entspricht." Sprich: Er ist gebildet, gehört der Mittelklasse aus Neu-Delhi an, besuchte eine christliche Schule. Er verkörpert den globalen modernen Star. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs lief die indische Version von "Wer wird Millionär", die Khan moderiert. Diese Sendung ist eine Institution, die jahrelang von dem gottgleich verehrten Schauspieler Amitabh Bachchan moderiert wurde. Abend für Abend grüßte Khan ganz Indien mit den Grußformeln Salaam, Namaste und einem Adab. Dazu merkte meine Gesprächspartnerin an, dass das viele Hindus auf die Palme treiben würde "Er sagt zu oft inshallah [so Gott will] und mashallah [Gott schütze…]."

Shah Rukh Khan im Interview mit Tehelka
Shah Rukh Khan im Interview mit Tehelka, Übersetzung von Fatma Sagir Foto: suedasien.info

Einige Monate später, nach Erscheinen seines Films "Chak de India" (2007), tobte die Diskussion um Shah Rukh Khans "Adab", zwar nur abgeschwächt in den Medien, dafür um so heftiger in den Diskussionsplattformen im Netz. Als die populäre Kolumnistin der Times of India, Shobha De, im August 2007, Shah Rukh Khan als "neo-musselman" beschreibt, den sie auch gerne in der Politik sähe, könnte man das als gelungenes Beispiel für das säkulare Ideal und die gute Integration der Muslime in der indischen Gesellschaft halten. Liest man aber die Kommentare zu diesem Artikel und die Diskussion speziell um diese Aussage in vielen Foren, dann wird man den Eindruck nicht los, dass bis dahin noch ein weiter Weg ist ("Das sind die Leute, die sich unser Vertrauen erschleichen um nach oben zu kommen. Erst sagen sie Namaste und jetzt zeigen sie ihr wahres Gesicht und sagen Salaam."; "Er soll zeigen, dass er Inder ist und Namaste sagen.").

Aber auch als seriös geltendende Medien stellten die "Loyalitätsfrage". Im CNN-IBN Interview am 14.10.2007 fragt der Interviewer, Shah Rukh Khan mit Nachdruck, warum er den Adab-Gruß benutze und nicht mehr Namaste sage, warum er seine muslimische Identität so stark betone. Seit 9/11 muss auch der gegenwärtig größte Star des indischen Kinos immer wieder Fragen zum Terrorismus und Jihad beantworten.

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Film in Südasien .

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