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31. Januar 2006. Schwerpunkte: Queer South Asia

Liebe und Sexualität jenseits der Konvention

Über Sexualität wird in Südasien nicht offen gesprochen. Heirat und Familiengründung sind zentrale Elemente des Gesellschaftsentwurfs. Fast alle von der Norm abweichenden Formen der Sexualität stoßen daher auf Probleme. Ein Singleleben, wechselnde Partner oder gar Homosexualität haben keinen Platz in den Standard-Lebensentwürfen in Südasien bzw. werden höchstens mit Bedauern und öffentlicher Kritik zur Kenntnis genommen. Mehr noch, der kolonialen Sichtweise weiterhin folgend stellt beispielsweise Indien mit Section 377 des Indian Penal Code "unnatürlichen Sex" unter Strafe.

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Wie überall auf der Welt gab und gibt es aber natürlich auch in Südasien Menschen, die von der normierten Sexualität abweichen, wobei die Normen gerade in Südasien durchaus vielfältig sein können. So gibt es beispielsweise in bestimmten Regionen eine fraternale Polygynandrie, d.h. die gemeinsame Heirat von Brüdern mit mehreren Frauen. Die Ehe, wenn sie auch überall zu finden ist, lässt sich daher in Südasien nicht auf die Beziehung eines Mannes mit einer Frau reduzieren. Ebenso kann "Liebe" hier nur in einem pluralistischen Sinne verstanden werden, d.h. selbst in bestimmten heterosexuellen Kontexten koexistieren unterschiedliche Vorstellungen von Liebe, wobei die eheliche Liebe (kama) und entsprechendes "moralisches Handeln" durchaus einer außerehelichen, die sozialen Konventionen missachtenden "wahren" Liebe (prema) untergeordnet sein kann. In geheiligten Texten sind diese beiden Hindu-Ideale der Liebe manifest. Die Bedeutung der religiösen Texte für das alltägliche Leben der Menschen in Südasien heute ist wiederum sehr unterschiedlich. In der urbanen Mittelschicht, auch außerhalb der Metropolen, ähneln die Vorstellungen zu Sexualität und Geschlecht zunehmend der Heteronormativität im Westen. Wenn im Folgenden queere Lebensentwürfe und Lebenswelten Südasiens als Abweichungen heteronormativer Sexualität und Konvention verstanden werden, heißt dies freilich nicht, dass hier ein reduktionistisches Bild von Heteronormativität vertreten werden soll.

In den südasiatischen Gesellschaften mit ihren (strengen) sozialen Konventionen und einem entsprechenden Strafgesetzbuch aus kolonialer Zeit lässt sich im Verborgenen vieles, das von den Normen abweicht, zwar leben, offen allerdings kaum. Es gibt aber auch Ausnahmen z.B. die Hijras. Sie sind Menschen ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale bzw. Transsexuelle. Auch wenn sie am Rande der Gesellschaft stehen, haben sie in ihr traditionell einen festen Platz, übernehmen bestimmte Funktionen für sie und können durchaus als glücksverheißend gelten.

In Indien ist seit der Kontroverse um den Film "Fire" im Jahr 1998 eine queere Bewegung gewachsen, die sich für die juristische und gesellschaftliche Anerkennung abweichender Lebensformen einsetzt. "Queer" wird dabei als Begriff für alle jene benutzt, die die von der Gesellschaft vorgegebene normierte Sexualität in Frage stellen. Dies trifft natürlich vor allem für Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender zu, aber auch für Heterosexuelle, die zum Beispiel unverheiratet leben wollen.

Vor diesem Hintergrund haben wir zu einem Schwerpunkt "Queer South Asia" aufgerufen und ganz unterschiedliche Texte bekommen. Da es im deutschsprachigen Raum bisher kaum Informationen über das queere Südasien gibt, stellen wir diese in ihrer Vielfalt und unterschiedlichen analytischen Tiefe dar. Unser Ziel ist es sowohl aus wissenschaftlicher wie aus persönlicher Sicht Einblicke in das Leben queerer Menschen ins Südasien zu bieten. Dabei haben wir allerdings leider fast ausschließlich Artikel über Indien und die Diaspora einwerben können.

In den Grundlagen definieren wir unseren Begriff von Queer, geben Hintergrund zu Kriminalisierung von Homosexualität in Indien und einen knappen Überblick über die Situation im nicht-indischen Südasien.

Queeres in der 'Tradition' - neue 'queere' Traditionen? bietet Einblicke in verschiedene ältere und neuere südasiatische 'Traditionen' - hinduistische als auch islamische -, in denen an unterschiedlich prominenter Stelle Sexualität verhandelt und gelebt wird. Während die Hijras als ein 'drittes Geschlecht' einen festen Platz in der Gesellschaft haben, werden die Liebes- und Heiratsbeziehungen moslemischer Heiliger zu Allah nur in einem außerweltlichen Kontext möglich. Wie vielfältig Normen und damit auch Abweichungen sind, zeigt sich bereits am Beispiel sakraler Hindu-Texte, in denen ganz unterschiedliche Konzepte von Liebe beschrieben werden. Die Veränderungen der Traditionen sind schließlich einerseits anhand einer neuen religiösen Bewegung zu sehen, deren Asketen sich - wie Hijras - binären Geschlechtszuschreibungen entziehen und die am ehesten als androgyn zu verstehen sind. Andererseits lässt sich im Auftauchen des "Metrosexuellen" in Indien eine konsumbezogene, oberflächliche 'Feminisierung' von urbanen Männern erkennen, die sich äußerlich bewusst queer geben, ohne es aber im Sinne der Aufgabe klassischer Familienideale zu sein. Aus der queeren Bewegung kommt schließlich Kritik an der Beibehaltung von diskriminierenden Praktiken im Namen der 'Tradition'.

In Diskriminierung Homosexueller in Indien stellen wir die alltäglichen Diskriminierungserfahrungen queerer Menschen in Indien, die häufig im Namen der 'Tradition' ausgeübt werden, dar. Dabei gehen wir insbesondere auf eine Studie über Gewalt gegen Lesben ein und stellen dar wie die Rechte Homosexueller mittlerweile von queeren Organisationen immer stärker im Menschenrechtsdiskurs verortet werden.

In Queere Bewegungen in Indien und Nepal geben wir einen Einblick in die verschiedenen Aktionsformen queerer AktivistInnen in Indien und Nepal. Zu Indien bieten wir einen Überblick über das feministisiche lesbische Engagement, informieren über das Bündnis Voices against 377 für die Abschaffung der Section 377 und veröffentlichen eine Reflektion über die Arbeit der Organisation Sahayatrika, schließlich dokumentieren wird die kritische Nachfrage eines Aktivisten. Aus Nepal stellen wir eine Organisation vor, die sich vor allem für die Interessen von Schwulen und Transgender einsetzt.

Die Beschreibung der queeren Bewegungen ergänzen wir in Persönlichen Porträts und Geschichten durch zwei Porträts von indischen Aktivistinnen, die sich für die Rechte von queeren Menschen einsetzen. Mit dem Amritsar Couples stellen wir eines der vielen lesbischen Paare vor, die geheiratet und damit eine kontroversen öffentlichen Debatte provoziert haben. Schließlich fügen wir zwei persönliche (möglicherweise fiktive) Geschichten von queeren Menschen aus Indien an.

In Bücher und Filme stellen wir den Roman Rantu penkuttikal und den Film Girlfriend vor, die sich beide zwar auf den ersten Blick mit lesbischer Liebe beschäftigen, sich bei genauerem Hinsehen aber als Verfechter heteronormativer Vorstellungen entpuppen.

In Diaspora diskutieren wir den Club Kali in London, der eine zweimonatliche Party für queere Menschen mit südasiatischen Bezug organisiert, stellen die Erfahrungen einer queeren Frau in den USA vor und bieten einen Blick von Indien nach Deutschland und zurück.

Die Quellen schließlich bieten weitere Informationen zu Filmen und Büchern, liefern eine Bibliographie und Links.

Eine interessante Lektüre wünschen Ihnen im Namen der Redaktion,

Urmila Goel und Uwe Skoda

Grundlagen

Queeres in der "Tradition" - neue "queere" Traditionen?

Diskriminierung Homosexueller in Indien

Queere Bewegungen in Indien und Nepal

Persönliche Porträts und Geschichten

Bücher und Filme

Diaspora

Quellen

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