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10. Januar 2005. Nachrichten: Natur & Umwelt - Malediven Zwei Minuten, die Jahrzehnte kosten

Der Tsunami warf die Malediven in ihrer sozio-ökonomischen Entwicklung weit zurück

Mit lediglich 82 Todesopfern schienen die Malediven auf den ersten Blick recht glimpflich davongekommen zu sein. Doch die sozio-ökonomischen Folgen des Tsunamis sind für den Inselstaat auf lange Sicht enorm.

Noch immer läuft die Suche nach 26 Vermissten. Ansonsten hatten die Bewohner in einer Hinsicht Glück: Weil die Eilande der Welle keine deutliche Landmasse entgegensetzen konnten wie an den Küsten von Sumatra oder Sri Lanka, schlug das Wasser hier mit weniger Wucht zu. Die zumeist nur ein, maximal knapp zwei Meter aus dem Ozean ragenden Inseln waren aber zum größten Teil völlig überflutet – obgleich nur ein bis anderthalb Meter hoch, so dass sich die Menschen in der Regel retten konnten.

Dafür ist der wirtschaftliche Schaden riesig. Nachdem die Malediven wegen ihrer ökonomischen Erfolgsgeschichte erst kürzlich von der UN-Liste der am wenigsten entwickelten Länder gestrichen werden konnten und das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Südasien auswiesen, hat das Wasser den bescheidenen Wohlstand nun im wahrsten Wortsinne weggespült.

"Binnen zwei Minuten hat uns der Tsunami um zwei Jahrzehnte zurückgeworfen", sagte Regierungssprecher Dr. Ahmed Shaheed jetzt vor Journalisten. Zehn Prozent der 199 Inseln seien durch die Flut völlig zerstört worden. 53 weitere hätten schwere Schäden davongetragen. Auf insgesamt 74 stelle die Trinkwasserversorgung ein ernstes Problem dar, auf 24 fehle Strom. Vier Eilande seien von sämtlichen Kommunikationsnetzen abgeschnitten. Der Wiederaufbau werde sich eine lange Zeit hinziehen und eine Milliardensumme erfordern, so der Regierungsvertreter.

Da die Malediven vor allem vom Tourismus leben, stellen sich Politik und Bewohner bereits auf eine harte Zeit ein. Obwohl Saison herrscht, sind die Urlauberzahlen nach dem Unglück um rund die Hälfte zurückgegangen. Dabei taucht der Inselstaat bislang in den Katastrophenstatistiken, wenn überhaupt, nur am Rande auf. Doch die Anbieter müssen in den kommenden Monaten wegen der Lage vor Ort auf Kunden verzichten. Von den 87 Luxusressorts, erklärte Saheed, seien 19 so schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass Reparatur und Neubau der Anlagen lange dauern werden.

Auch die Fischereibranche hat mit Problemen zu kämpfen, manche Inseln haben fast ihre gesamte Flotte verloren. Wegen der niedrigen Lage der Inseln seien zudem zahlreiche Felder durch das Salzwasser unbestellbar geworden.

Für die rund 12.700 Bürger, die durch die Flutwelle obdachlos wurden, sind Hilfemaßnahmen inzwischen angelaufen. Die Wohnhäuser wieder in Stand zu setzen, mag noch eine der kleineren Herausforderungen sein. Doch auch 44 Schulen, 30 Gesundheitsstationen sowie andere öffentliche Einrichtungen sind zerstört oder stark beschädigt worden. Millionenbeträge, die der Staat beispielsweise in den Ausbau von Hafenanlagen und Uferbefestigungen investierte, hat die Flut zunichte gemacht.

Laut den Angaben des Regierungssprechers beläuft sich die Gesamtschadensumme auf den Malediven nach vorsichtigen Schätzungen auf 1,3 Milliarden Dollar – das entspricht dem Doppelten des jährlichen Bruttosozialproduktes. Ohne ausländische Unterstützung sei diese Last nicht zu schultern, so Saheed.

Quelle: Der Text erschien am 7. Januar 2005 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Der Tsunami im Indischen Ozean .

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