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Eigentlich wollte sich Asif Ali Zardari als regionaler Friedensbringer profilieren. Wiederholt unternahm der 53jährige pakistanische Präsident in den vergangenen Monaten kleine Schritte der Annäherung, um das Verhältnis zum großen Nachbarstaat Indien zu entspannen. Während sich die Regierung von Premierminister Yousaf Gilani mit einer Vielzahl innenpolitischer Probleme, unter anderem anhaltenden Versorgungsengpässen, dem Verlust der Kontrolle über Gebiete an der Westgrenze zu Afghanistan und zunehmenden Anschlägen islamistischer Terrorgruppen, konfrontiert sah, strebte Zardari nach außenpolitischen Erfolgen.
Wobei man ihm neben einem gewissen Hang zur Profilierung durchaus auch Realitätssinn zugestehen muss – wenn es an der Westfront nicht gut läuft, so sollte man sich wenigstens um den Osten bemühen. Überdies droht Pakistan der Staatsbankrott, die Regierung benötigt dringend ausländische Hilfszahlungen, und Zardari gelang es, bei den Kreditgebern im Westen, allen voran den USA, den Eindruck von Reformbereitschaft zu erwecken und kurzfristige Hilfen zu erhalten.
Doch dann ereigneten sich die Anschläge von Mumbai, den bisherigen Ermittlungsergebnissen zufolge begangen von der pakistanischen Organisation Lashkar-e-Taiba (LeT), die mit indischen Jihadisten kooperiert hatte. In Indien wurde über mögliche Militärschläge gegen terroristische Ausbildungslager in Pakistan debattiert. Beide Länder versetzten ihre mit Atomwaffen ausgerüsteten Armeen in Alarmbereitschaft, was zu intensiven diplomatischen Aktivitäten insbesondere der westlichen Regierungen führte. US-Außenministerin Condoleezza Rice und die Repräsentanten mehrerer EU-Staaten trafen in Neu-Delhi und Islamabad mit Regierungspolitikern beider Staaten zusammen. Indische und pakistanische Politiker überhäuften sich weiterhin mit Vorwürfen, doch die Situation entspannte sich.
Die Lage spitzte sich unvermittelt noch einmal zu, als am 14. Dezember indische Kampfjets in den Luftraum über der Stadt Muzaffarabad im pakistanischen Teil Kashmirs und in der Nähe der Millionenstadt Lahore eindrangen. Der in London weilende Zardari sprach später von "technischen Problemen" der indischen Luftwaffe. Dass diese Probleme in der Nähe von mutmaßlichen Camps der LeT auftraten, verschwieg der Präsident.
Das Hauptaugenmerk im Ausland lag in letzter Zeit eher auf den Rückzugsgebieten von al-Qaida, Taliban und anderen Jihadisten in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, wo man die dürftigen militärischen Erfolge im Antiterrorkampf bemängelt. Für die meisten Pakistanis ist dieser Konflikt nur eines von vielen Problemen, der Kampf gegen die Jihadisten ist unpopulär, da dabei größtenteils gegen Landsleute vorgegangen wird und zudem das in Afghanistan stationierte US-Militär wiederholt auf pakistanisches Territorium vordrang.
Zwar ist Pakistan nach Bekunden der US-Regierung der wichtigste Verbündete in der Region, gleichwohl bezeichnen viele westliche Analytiker den Staat gerne als das gefährlichste Land der Welt. In Pakistan glaubt man eher, man lebe im gefährdetsten Land der Welt. Die Bedrohung geht dabei in der Wahrnehmung vieler Pakistanis weniger von bärtigen Jihadisten aus, zumal es immer wieder Wege gab, sich mit ihnen zu arrangieren und sie für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren – zum Beispiel in Kashmir. Nachdem die Rote Armee in Afghanistan mit Hilfe der Mujahideen zum Rückzug gezwungen worden war, setzten Strategen der pakistanischen Armee, des Geheimdienstes ISI und des politischen Establishments die Gotteskrieger ein, um den indischen Teil Kashmirs zu destabilisieren. Ein Großteil der heutigen Führungsriegen in den islamistischen Terrorgruppen der Region wurde damals geschult, ihre Organisationen wurden finanziell unterstützt. Viele islamistische Gruppen wurden, wie die LeT, auch im Sozial- und Bildungssektor tätig, sie bauten ein Netz von Koranschulen, aber auch Hospitälern auf.
Noch immer wird Indien als eine Bedrohung wahrgenommen. Das Trauma der Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947 ist weiterhin präsent. Über 16 Millionen Menschen wurden damals zur Flucht gezwungen, etwa eine Million Opfer forderte der Ausbruch der kommunalistischen Gewalt beiderseits der neuen Grenzen, und neben Kashmir wurden auch andere Regionen geteilt, darunter das Fünfstromland (Punjab), die bevölkerungsreichste Provinz Pakistans. Etliche Politiker beider Staaten stammen aus der Generation, die den Teilungskrieg miterlebte, ihre Sichtweise des Konflikts wird meist von nationalistischen Mythen bestimmt. Dreimal führten Indien und Pakistan seit der Unabhängigkeit Krieg gegeneinander, und jedes Mal machte das pakistanische Militär keine gute Figur. Die Ansätze zur Versöhnung zwischen beiden Staaten wurden regelmäßig durch die erneute Eskalation des Konflikts gestoppt, das pakistanische Militär sowie Extremisten auf beiden Seiten sabotierten die Entspannungspolitik.
Der Dauerkonflikt mit Indien trug maßgeblich dazu bei, dass die pakistanische Armee zum Staat im Staate wurde. Um im Wettrüsten mithalten zu können und die enormen Kosten von Projekten wie der atomaren Aufrüstung und dem Aufbau einer Frontlinie in der Hochgebirgsregion Kashmirs zu finanzieren, wurden und werden andere Bereiche fatal vernachlässigt.
Präsident Zardari und seinen Mitstreitern ist nicht entgangen, dass sich die USA und Indien seit 2001 immer mehr annähern, so dass Pakistan immer stärker ins Hintertreffen gerät. Vom anhaltenden Konflikt in Afghanistan kann Pakistan zwar weiterhin profitieren, doch muss die Regierung aufpassen, dass sie mit alten Handlungsmustern nicht zu sehr die Geduld ihrer Verbündeten strapaziert. Die afghanische Regierung von Präsident Hamid Karzai unterhält gute Beziehungen zu Indien und kritisiert, dass den Taliban ein Rückzugsgebiet auf pakistanischem Staatsgebiet zur Verfügung steht. Nach einem verheerenden Anschlag auf die indische Botschaft in Kabul im Juli sprach die afghanische Regierung von einer Verstrickung der pakistanischen Sicherheitsdienste. Außerdem verdienen, teils seit Jahrzehnten, viele Pakistanis an der Situation in Afghanistan: Sowohl der Nachschub für die Truppen der Nato als auch für deren Widersacher läuft größtenteils über Pakistan, einträglich ist auch der alltägliche Schmuggel.
Allerdings verdient Zardari, der sich in früheren Ämtern unter seiner im Dezember 2007 ermordeten Ehefrau Benazir Bhutto der Korruption sehr zugeneigt zeigte, an diesen Geschäften vermutlich kaum, da er weder über familiäre Beziehungen in das Grenzgebiet noch über eine enge Bindung an das Militär verfügt. Er kann durch eine Annäherung an Indien mehr gewinnen – im Gegensatz zu anderen Gruppen im Lande. Ihm fiel es deshalb vermutlich nicht schwer, wiederholt öffentlich neue, fast revolutionäre Töne anzuschlagen: Man könne über die Nukleararsenale beider Staaten verhandeln, einen atomaren Erstschlag Pakistans schließe er aus, auch über Kashmir lasse sich reden, das Gebiet genieße keine oberste Priorität. Prompt schlug danach mit der LeT eine eng mit dem Kashmir-Konflikt verbundene Gruppe in Indien zu.
Nach den Anschlägen gerät Pakistans Regierung unter Druck. Einerseits erwarten Indien und die westlichen Verbündeten mehr Aktivitäten und Kooperation, andererseits müssen Zardari und Gilani innenpolitisch Stärke zeigen, um nicht als willfährige Handlanger des Auslands zu gelten. Widerstand schlägt ihnen dabei nicht nur von den Jihadisten entgegen, deren jüngste Anschläge in Pakistan als eine Warnung an die Regierung gelten können.
Mit zwei Überfällen auf militärische Depots in Peshawar, bei denen sie eine große Anzahl von Geländewagen, LKW und Containern zerstörten, sowie Angriffen auf Tanklastzüge trafen sie den Nachschub der Nato und blamierten zugleich die pakistanischen Sicherheitsbehörden. Zwar wurden die Auswirkungen heruntergespielt, jedoch scheint es der britischen Tageszeitung Times zufolge üblich zu sein, den örtlichen Kommandeuren der Taliban Schutzgeld für die Transporte zu zahlen.
Aus den Reihen des ISI und der pakistanischen Armee gibt es ebenfalls Widerstand. Etliche verfügen dort aus früheren Zeiten über gute Kontakte zu den Jihadisten. Zwar wurde erst kürzlich die Spitze des ISI mit Ahmad Shuja Pasha, der zuvor als Militärkommandant im Westen gedient hatte, neu besetzt, aber noch sein Vorgänger Nadeem Taj war wegen zweifelhafter Geschäfte mit den militanten Islamisten abgesetzt worden. Innerhalb der Armee ist die Begeisterung für einen härteren Einsatz gegen die meist mit einer Guerillataktik agierenden Jihadisten und Stammesmilizen ebenfalls gering. Das Militär ist dafür bislang unzureichend geschult und ausgerüstet, die Verluste sind recht hoch. Die größeren Offensiven der vergangenen Monate zeigten trotz der überlegenen Feuerkraft kaum Wirkung, machten aber Hunderttausende Zivilisten zu Vertriebenen und schädigten das Ansehen der Armee.
Da jedoch irgendwie gehandelt werden muss, ist die pakistanische Regierung nun gegen das Umfeld der LeT aktiv geworden. Die mit der LeT verbundene Wohlfahrtsorganisation Jamaat-ud-Dawa (JuD) traf es als erstes. Unter den 15 Festgenommenen befindet sich auch Zaki ur-Rehman Lakhvi, mit dem einige der Attentäter noch während der Aktionen in Mumbai telefoniert haben sollen. Dass man der Verdächtigen prompt und problemlos habhaft werden konnte, zuvor jedoch Lakhvi und den LeT-Veteranen und JuD-Anführer Hafis Mohammed Said unbehelligt gewähren ließ, obwohl die LeT seit 2002 offiziell in Pakistan verboten ist, dürfte noch unangenehme Fragen aufwerfen. Wahrscheinlich wird Präsident Zardari sein breitestes Grinsen unter seinem Clark-Gable-Bärtchen aufsetzen und auf "technische Probleme" der Sicherheitsdienste verweisen.
Der Beitrag erschien im Original am 18. Dezember 2008 in der Wochenzeitung Jungle World 51/2008.
Wochenzeitung Jungle World
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