Inhalt

21. Januar 2014. Rezensionen: Afghanistan - Kunst & Kultur Afghanischer Staub, afghanisches Gold

Die Fotografien von Luke Powell

„It is important for those living in the industrial world to develop an appreciation for the cultures that are sustainable, to learn to see beauty and survival in a world where people raise their own food, walk, pray, and live in families. Living at the crossroads of Asia, the Afghans have watched empires come and go and civilizations rise and fall. Before the recent invasions, the Afghans were exporting food with a near-zero carbon footprint. They have as much to teach us as we have to teach them.“ - Mit diesen Worten eröffnet Luke Powell seine 214-seitige Sympathie-Bekundung, wenn nicht gar Liebeserklärung für ein Land, über das in unserer westlichen Hemisphäre wohl systematisch negativ, nämlich immer in Zusammenhang mit Gewalt im Inneren oder gegen die Besatzungsmächte, berichtet werden muss: Afghanistan.

Ein Bildband der Abmaße 30 x 42 x 3 Zentimeter, verpackt in einem stabilen Schuber, begleitet von einem Begleitband (Softcover) im gleichen Format mit Erläuterungen zu den Fotos des Hauptbandes – das ist kein Leichtgewicht, weder für den Paketdienstfahrer, noch für den Bücherschrank. Mit „Afghan Gold“ ist dieses schmucke Stück Buchkunst betitelt. Schick und schlicht, ernst und klar kommt das Dreiergespann daher.

Der Fotograf Luke Powell, 1946 in North Carolina geboren, reiste in den 70er Jahren zum ersten Mal nach Indien, über Land in einem Geländewagen. Als er in die Wirren des Bürgerkriegs zwischen Indien und Pakistan zu geraten droht, verbringt er den Winter im benachbarten Afghanistan. Seit 1971 fotografiert er dieses Land, und eine Auswahl seiner Werke der letzten drei  Jahrzehnte ist in diesem opulenten Bildband versammelt.

Powell macht sich zum Fürsprecher einer im Grunde friedliebenden, gastfreundlichen Gesellschaft, die sich seit über drei Jahrzehnten im Krieg befindet beziehungsweise befinden muss. Die Hintergrundgeschichten der jeweiligen Aufnahmen werden in einem breiten historischen Kontext präsentiert, der über die Berichterstattung der aktuellen Medien weit hinausgeht.
Die Ambition des Fotografen ist dabei gemäß seiner eigenen Aussage, nur Fotos zu machen, die auch die Afghanen verstehen und gegebenenfalls sich aufhängen würden. Ja, selbst die bilderfeindlichen Taliban-Minister anno 2000 hingen sich Powells Fotografien ins Büro (S. 47 Begleitband). Ob man darauf stolz sein kann, sei dahingestellt, doch sagt dies einiges über die Qualität der Bilder aus.

Powell zeigt, dass ohne Arrangieren und Posieren die Menschen und Tiere sich in einem bestimmten Moment des Tages an der perfekten Stelle befinden, oft nur für Sekunden, doch für den geduldigen Fotografen reicht dieses Zeitfenster.

Der Bildband ist in fünf Kapitel unterteilt. Im ersten führt Powell uns heraus aus dem Herat der 1970er Jahre und hinein nach Farah, Kandahar, Ghazni und in das Kabul-Tal. Das zweite versammelt Fotografien aus der Zeit des Jahrtausendwechsels; zuerst Bilder aus der Taliban-Zeit, später Aufnahmen aus den von der Nord-Allianz kontrollierten Gebieten. Die Reise im dritten Kapitel beginnt im Dezember 2001 im Bamiyan-Tal und führt den Betrachter in die Gebiete der Hazara, als Luke Powell die Aktivitäten der Vereinten Nationen dokumentieren sollte. Die Bilder in den letzten beiden Kapiteln schließlich stammen allesamt aus dem Jahr 2003.

Die Farben des Landes sind etwas stumpf vom Staub, das sieht man. Grau-braune Erde, lehmige Mauern, sandige Straßen. Und dann wieder saftig grüne Täler, kilometerweit kein Mensch zu erahnen, ein Trampelpfad schlängelt sich hindurch ins weite Nichts (S. 132). Es sind einfache Momentaufnahmen, die mal ferne Stille, mal nahes Innehalten vermitteln. Keine Taliban, keine Mujahedin, keine Gewalt. Leider nur beinahe stimmt der Satz, der nun folgt: Es ist im ganzen Bildband keine einzige Waffe zu sehen. Doch leider, nun ja, hält ein Mann auf Seite 25 eine Flinte bei sich, und auf Seite 98 sind Maschinengewehre erkennbar. Die Bewaffnung gehört in der ein oder anderen Form wohl zum afghanischen Alltag.

Um sich mit den Bildern und der Intention des Fotografen besser vertraut zu machen, ist das Begleitbuch im gleichen Format essentiell. Zugegeben, man benötigt viel Platz auf einem großen Lesetisch, um beide Bücher parallel durchzuarbeiten, doch durch diese Art des sich abwechselnden Betrachtens und Lesens taucht man erst richtig ein in die äußeren wie inneren Landschaften des Reisenden Luke Powell.  Zur besseren Orientierung ist in diesem Textband jedes Foto des Hauptbandes als Kleinbild abgedruckt, und der daneben stehende Text gibt sowohl technische (Kameramodell, Linse, Filmart) wie auch situationsbedingte Informationen.

In den Fotografien Luke Powells sehen wir Afghanistan wie es ist, und nicht, wie es sein wird oder wie es sein soll. Ekelerregend ist für Powell die Vorstellung, dass dieses Land, dass diese Menschen in nicht allzu ferner Zukunft Smartphones bedienen und Shoppingcenter anhimmeln sollen, um in den Augen des „Westens“ den Sprung zu einem „entwickelten“ Land zu bewerkstelligen:

    „Horrified by the materialism, vulgarity, and violence of the West, I wanted to celebrate     the innocence and beauty of this simpler world.“ (Begleitband, S. 45).


*


Wer je auch nur aus dem Flugzeug hinunter auf Afghanistan geschaut hat und die zerklüfteten Berge da unten nicht zählen konnte, und ebenso wenig die einzelnen, wie zufällig hingestreuten Dörfchen und Kleinstädte, der weiß es schon besser als alle daheimgebliebenen Nachrichtenredakteure: Von diesem Land ging nie und geht auch in Zukunft keine Gefahr für die Welt aus. Kein afghanisches Lämmlein bedroht irgendjemandes Freiheit am Hindukush! Doch es darf nicht sein, was nicht sein darf: Ist es nicht bezeichnend für die US-amerikanische Verleger-Szene, dass sie sich über drei Jahrzehnte hinweg weigerte, Powells friedliche, positive Abbildungen dieses muslimischen Landes in Buchform zu publizieren? Und um kein Deut besser stehen ihre europäischen Kollegen da, die sich ebenfalls einer Veröffentlichung versagten, da sie fürchteten, vom amerikanischen Buchmarkt ausgeschlossen zu werden.

Wenn uns beim Gedanken an Afghanistan Unbehagen plagt, liegt es vor allem an uns, den Tunnelblick auf dieses Land zu korrigieren, denn dieses Unbehagen ist lediglich das Ergebnis einer rein an Interessen orientierten Berichterstattung der hiesigen Medienpolitik. Luke Powells Fotografien weisen den Weg aus diesem Tunnel des eingeengten Blicks und der gleichsam eingeengten Denkweise; der Steidl Verlag legt sie uns vor in einem würdigen Band. Beiden sei applaudiert für dieses Unterfangen.

Quellen

Luke Powell: Afghan Gold
Verlag Steidl, Göttingen im November 2013
224 + 48 Seiten
ISBN 978-3-86930-648-3
98 EUR

Schlagworte

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.