Inhalt

06. Juli 2012. Rezensionen: Südasien - Geschichte & Religion Aus dem Guru Granth Sahib und anderen heiligen Schriften der Sikhs

Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Tilak Raj Chopra und Heinz Werner Wessler

Der Band umfasst eine repräsentative Auswahl von übersetzten liturgischen Texten des Sikhismus, einer im 15. Jahrhundert gegründeten Religion in Südasien mit heute weltweit ca. 23 Millionen Anhängern.

Dieses Buch nimmt man gern in die Hand: kleinformatig wie ein Taschenbuch, aber in Leinen gebunden, mit edlem Golddruck auf dem Einband und einem transparenten Schutzumschlag. Auch die innere Ausstattung ist gediegen. Die Sammlung enthält Texte aus sechs wichtigen heiligen Schriften der Sikhs und einen 80 Seiten umfassenden Apparat mit einem ausführlichen Kommentar, Erläuterungen zum Text, einem Glossar, einem Literaturverzeichnis und einem Bildteil.

Der größte Teil der aus dem Alt-Panjabi und dem Braj ( einer spätmittelalterlichen Variante des Hindi) übersetzten Texte sind Dichtungen aus dem Guru Granth Sahib – dem Buch, das vom 10. und letzten Guru der Sikhs als höchste Autorität eingesetzt wurde und das in allen Sikh-Tempeln, den Gurudwaras, den zentralen Ehrenplatz einnimmt. Es enthält zahlreiche Hymnen des ersten Guru, Nanak (1469-1539), aber auch viele Texte anderer inspirierter Dichter dieser Epoche, wie Kabir, Ravidas oder Surdas, sowie einige Hymnen der späteren Sikh-Gurus. Gemeinsam ist ihnen eine Spiritualität des im Idealfall ununterbrochenen Gedenkens und der liebenden Hinwendung an einen gütigen und weisen Gott, die höchste Wirklichkeit jenseits aller Formen. Die persönliche Kontaktaufnahme zu Gott steht im Zentrum; Tempel, Priester, Rituale werden dagegen als sekundär, wenn nicht sogar störend angesehen.

Die Auswahl aus dem Guru Granth Sahib enthält grundlegende liturgische Texte für die persönliche und gemeinschaftliche Andacht, Lobgesänge über die mystische Hochzeit der menschlichen Seele mit Gott und über die Glückseligkeit der Begegnung mit dem wahren Guru; darüber hinaus Andachtstexte zu den Stationen des Lebens wie Geburt, Heirat, Tod.

Der zweite Textteil, Auszüge aus dem Dasam Granth, enthält Dichtungen des zehnten Gurus (Gobind Singh, 1666 – 1708) über die Abstammung und die Geschichte der Sikh-Gurus und anderer Heiliger.

Ein dritter Teil erzählt in anekdotenhafter Prosa die Lebensgeschichte des Guru Nanak, seine Pilgerfahrten in Indien und nach Mekka. Viele dieser Geschichten zeigen Nanaks Geringschätzung der äußerlichen Riten und Regeln von Hinduismus und Islam und seinen stetigen Verweis auf die Pflicht des Einzelnen, sich selbst  zu läutern. Außerdem einige Schriften von Bhai Gurdas (1551 – 1636) über die ersten sechs Sikh-Gurus und das Bittgebet der Gemeinde am Ende eines Gottesdienstes.

Die meist metrisch verfassten Originaltexte wurden gut lesbar in freie Rhythmen übertragen, der liturgischen Funktion angemessen auf einer leicht gehobenen Stilebene.

Im Kommentar wird der Sikhismus definiert und von anderen Religionen abgegrenzt. Die zehn Gurus werden porträtiert, wobei dem ersten als Begründer der Gemeinde, dem fünften als Erbauer des Goldenen Tempels, des zentralen Heiligtums in Amritsar, und dem zehnten als Reorganisator des Sikhismus, im Sinne einer militanten, gegen die oppressive Mogul-Herrschaft unter Aurangzeb (1618 – 1707) gerichteten Gemeinschaft, herausragende Bedeutung zukommen.

Erläutert werden ferner viele Begriffe, die meist aus der hinduistischen Tradition stammen, aber im Sikhismus eine besondere Ausprägung oder Neu-Interpretation erfahren haben. Das Buch informiert über die äußeren Kennzeichen der Sikhs und die für sie verpflichtenden ethischen Gebote. Sehr informativ sind auch die Abschnitte über die historischen Beziehungen der Sikh-Gemeinde zum Islam und die gegenwärtigen Perspektiven des Sikhismus im postkolonialen Indien wie in der Diaspora.

Chopra/Wessler weisen auf die Wechselbeziehungen zu Hinduismus und sufischem Islam hin, wobei die Abgrenzung zum Hinduismus ein wenig zu stark betont wird. In Nanaks Hymnen und in anderen Texten des Guru Granth Sahib tauchen doch zahlreiche Verweise auf den Hinduismus auf, und dies ohne deutliche Abgrenzung oder Ablehnung. Auch wenn die Sikh-Priesterschaft aus nachvollziehbaren Gründen auf der Distanz zum Hinduismus mit seiner vereinnahmenden Tendenz besteht, bleibt doch unbestritten, dass in den "heiligen Winkeln" sehr vieler Sikh-Haushalte der Guru Granth Sahib in schöner Eintracht mit hinduistischen Götterbildern aufbewahrt wird. Für die meisten Nichttheologen unter den Sikhs scheint die Abgrenzung also von sekundärer Bedeutung zu sein.

Fazit: Der Verlag der Weltreligionen hat eine repräsentative Auswahl der heiligen Schriften der Sikhs in vorzüglicher Übersetzung vorgelegt, verbunden mit ausführlichen Kommentaren und zahlreichen weiteren Informationen, die das Buch auch zu einem Standard-Nachschlagewerk machen.

Die Rezension ist zuerst in der Zeitschrift SÜDASIEN (Nr. 2/2012) erschienen.

Quellen

Aus dem Guru Granth Sahib und anderen heiligen Schriften der Sikhs. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Tilak Raj Chopra und Heinz Werner Wessler. Hrsg. von Martin Kämpchen. Verlag der Weltreligionen, Berlin 2011, 254 S., ISBN 978-3-458-70033-3, 34 Euro.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.