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27. Februar 2009. Rezensionen: Wirtschaft & Soziales - Indien Heimat in der Fremde

Migrationsgeschichten von Menschen aus Indien in Deutschland

Heimat in der Fremde ist eine ausgewählte Sammlung von Lebensläufen indischer Frauen und Männer, die in verschiedenen Teilen Indiens geboren und aufgewachsen sind und durch die unterschiedlichsten Umstände nach Deutschland kamen.

Die Zeitschrift Meine Welt, die den deutsch-indischen Dialog fördert nahm ihr 25. Jubiläum zum Anlass, zwanzig Inder über ihr Leben in ihrer neuen Heimat Deutschland reflektieren zu lassen. Herausgekommen ist eine "farbige Sammlung von Biographien, Meinungen, Bewertungen, Erfahrungen" (S.9) über das Leben auf deutschem Boden mit indischen Wurzeln.

An den Anfang eines jeden Berichts wurden ein kurzer biographischer Abriss sowie eine Liste von Auszeichnungen, Arbeitsbeiträgen, Publikationen gestellt, der es Leserinnen und Lesern ermöglicht, einen Eindruck von Autorin oder Autor zu erhalten. Einzig Sunitha Vithayathil schreibt von sich: "Auszeichnungen: Als Mutter von vier Kindern hätte ich eigentlich eine Auszeichnung verdient, oder?"

Bei ihrer Reflektion sind die Autorinnen und Autoren sehr unterschiedlich vorgegangen: Einige orientieren sich an ihrem eigenen Lebenslauf, andere, wie Navina Sundaram machen Leserinnen und Lesern bewusst was es bedeutet, Migrantin zu sein. Selbst nach vielen Jahren in Deutschland ist ihr Fazit "Ich fühle mich zu Hause so weit weg von zu Hause" (S. 31), wobei das kein Widerspruch ist, denn die kulturellen Differenzen werden den Migrantinnen und Migranten täglich vor Augen geführt.

Neben den typischen Problemen, die uns heute aus den Medien bekannt sind, wird Leserinnen und Lersen anhand der einzelnen Aufsätze bewusst gemacht, was es bedeutet, seine Heimat zu verlassen und sich in einem anfangs sehr fremden Land zurechtzufinden. Gemein ist allen Autorinnen und Autoren, dass sie eher zufällig nach Deutschland kamen. Die einen sind durch einen studienbegleitenden Austausch, andere berufsbedingt nach Deutschland gekommen. Manche haben sich verliebt, ihren deutschen Partner geheiratet, eine Familie gegründet und sind deshalb geblieben. Dreißig oder vierzig Jahre in Deutschland zu leben hatte keine der Autorinnen und keiner der Autoren geplant. Da sich alle beruflich etablierten, vergingen die Jahre. Nirmalendu Sarkar bringt es auf den Punkt indem er schreibt: "(...) wohin die Zugvögel in den Sommermonaten flogen, sie vergaßen nie, im Winter nach Hause zurückzufliegen. So oder ähnlich trugen sich die meisten Immigranten mit dem Gedanken, auf alle Fälle zum Ausgangspunkt zurückzukehren." (S.43).

Inzwischen haben viele das Rentenalter erreicht und stehen wieder vor einer Lebensentscheidung, nämlich, wo sie ihren Alterssitz aufschlagen wollen. "In Indien? In Deutschland? (...) Da, wo ich herkomme und wo das Familienhaus steht?" (S.31) Dabei steht die Frage im Raum, was Heimat ist und was sie für jeden einzelnen bedeutet. Ist Heimat dort, wo man geboren ist? Wo man am längsten gelebt hat? Wo die Familie ist? "Heimat ist für mich die Liebe, die Sehnsucht. Heimat ist für mich mein Freundeskreis, die Familie. Was mir fehlt ist nicht Indien, sondern ein Landstrich, wo ich geboren bin, Menschen und Freunde." (S.59).

Inder/in oder Deutsche/r? Diese Frage beantworten die Autorinnen und Autoren für sich und geben Leserinnen und Lesern einen Einblick in ihre ganz persönliche Auffassung von Glück. "Dass unsere psychische Entfremdung von Indien fast zwangsweise bedeutet, dass es uns nicht gelingen wird, haargenau das zurückzugewinnen, was wir verloren haben; dass wir, kurz gesagt, Fiktionen erschaffen, nicht tatsächliche Städte oder Dörfer, sondern unsichtbare, imaginäre Heimatländer (...)." (S.30). Dieser Satz von Salman Rushdie spiegelt die Meinung einzelner Autorinnen und Autoren wieder, dass es im Laufe der Jahre passiert, dass die eigenen Erinnerungen verklärt werden.

Alle standen vor der Entscheidung, wieviel indische Kultur sie in Deutschland leben können, aber auch, wieviel sie davon leben wollen. "Wie kann man sich eine Kultur bewahren, ohne dass sie dabei verknöchert?" (S.30) fragte Salman Rushdie 1984.

Nicht einfach sind die auftretenden Generationskonflikte. Kinder und Enkelkinder fühlen sich als Deutsche, weil sie in Deutschland geboren wurden. Sie kennen Indien als den Geburtsort ihrer Mutter, Großmutter oder ihres Vaters, Großvaters. Gerade das Festhalten an indischen Traditionen, Sitten und Gebräuchen führt zu Generationskonflikten. Für einige Eltern ist es schwer, die Bräuche und Gewohnheiten des Gastlandes zu akzeptieren, dass sich die Kinder ihren Lebenspartner selbst suchen. "Das deutsche Berufsbildungssystem, das manche europäischen Länder nachahmen, ist einmalig in der Welt". (S.57). Was gibt es da für einen Grund nach Indien zurückgehen, wenn bewusst ist, dass ihre Kinder oder Enkelkinder in Deutschland leben und hier ein besseres Schulsystem haben können?

Die Entscheidung, im Alter nach Indien zurückzukehren, hat bisher keiner der Autorinnen und Autoren getroffen. Viele sagen, sie werden bis ans Lebensende heimatlos, aber nicht identitätslos sein. (S.117)

Der Draupadi-Verlag hat mit diesem Band, das unter Herausgabe der Zeitschrift Meine Welt entstanden ist, eine herausragende und unbedingt lesenswerte Arbeit geschaffen, die es Leserinnen und Lesern ermöglicht, einen tiefen Einblick in die Problematiken indischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland zu erhalten.

Dem Verlagsleiter Christian Weiß ist es zu verdanken, dass die manchmal doch sehr schwierigen Aufsätze in ein gut lesbares Deutsch übertragen wurden. "Die Sprache ist der Schlüssel.", wie Navina Sundaram sagt. (S.32)

 

Meine Welt (Hg.): Heimat in der Fremde. Migrationsgeschichten von Menschen aus Indien in Deutschland. Draupadi Verlag, Heidelberg 2008. ISBN 978-3-937603-30-8, 288 Seiten.

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