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28. Oktober 2008. Rezensionen: Kunst & Kultur - Indien Männerbilder im Bollywood-Film

Eine Rezension

Berlinale 2008: Es herrscht Ausnahmezustand. Alle wollen kommen, ihren Star sehen, für ihn tanzen. Die Organisator_innen hatten damit nicht gerechnet. Sie hatten noch befürchtet, dass nicht genug Zuschauer_innen zum Panel 'Love International' des Talent Campus kommen würden. Sie hatten Sorgen, dass der Star nach seiner Film-Premiere direkt wieder abreisen würde. Doch Shah Rukh Khan ist mittlerweile auch in Deutschland ein Superstar. Aus allen Teilen Deutschlands kommen die Fan-Clubs angereist, bieten ihm einen begeisterten Empfang. Die Karten sind sofort ausverkauft, die Berlinale-Telefone laufen heiß, eine eigene Webseite wird eingerichtet, um die häufigsten Fragen zu beantworten. Bollywood ist in in Deutschland.

Auch in der Wissenschaft wird immer mehr zu Bollywood geschrieben. In allen möglichen Fachbereichen entstehen Qualifizierungsarbeiten und Artikel rund um die indische Filmindustrie. So auch in den Medienwissenschaften: Florian Krauß hat 2006 sein Studium der Audiovisuellen Medienwissenschaft mit einer Diplomarbeit über die Männerbilder im Bollywood-Film abgeschlossen. Der Wissenschaftliche Verlag Berlin hat sie 2007 als Buch herausgebracht. Krauß' Ansatz ist klar ein filmwissenschaftlicher, er nimmt aber auch immer wieder Bezug auf Gendertheorien. In seiner Recherchephase hat er Filmexpert_innen in Indien und Deutschland, unter anderem auch die Organisatorin des Berlinale Talent Campus Dorothee Wenner, interviewt. Herausgekommen ist ein Buch, das sich durch seine sorgfältigen Differenzierungen, dem Vermeiden von pauschalisierenden Aussagen und den umfangreichen Quellen positiv von vielen anderen deutschen Texten über Bollywood abhebt. Als Diplomarbeit richtet es sich dabei aber vor allem an ein akademisches Publikum und ist vermutlich für nicht in wissenschaftlichen Diskursen geschulte Leser_innen eher schwere Kost.

Buchcover: Männerbilder im Bollywood-Film
Cover von Florian Krauß' Buch "Männerbilder im Bollywood-Film" Foto: Wissenschaftlicher Verlag Berlin

Der Aufbau des Buches spiegelt wieder, dass es sich um eine Diplomarbeit handelt. Krauß nähert sich langsam und systematisch seinem Untersuchungsgegenstand. Im ersten Kapitel diskutiert er, was er unter Bollywood und dem Hindi-Film versteht und was dessen Charakteristika sind. Dann konzentriert er sich auf eine Beschreibung des zeitgenössischen Family Films, denn genau dieser ist sein Untersuchungsgegenstand. Krauß analysiert im wesentlichen Karan Johars Filme Kuch kuch hota hai, Kabhie khushi kabhie gham, Kal ho na ho und Kabhi alvida naa kehna. Er bezieht sich im Folgenden auch immer mal wieder auf andere Filme, aber kommt doch stets zu diesen neueren Erfolgsfilmen mit dem Superstar Shah Rukh Khan zurück. Dabei schreibt Krauß ganz gezielt für eine 'westliche' Leser_innenschaft, macht seine 'westliche' Perspektive explizit und verortet seine Position im Diskurs konsequent.

Das zweite Kapitel ist einer theoretischen Diskussion von Männlichkeit und Männerbildern im Film gewidmet. Mit Rückgriff auf die cultural studies und Gendertheorien diskutiert Krauß die soziale und interaktive Konstruktion von Männlichkeit und geht dabei auf das 'doing gender', den 'gender display' und die 'gender attribution' ein. Krauß führt diese Theorien sehr ausführlich ein und erklärt die Gendertheorien zum Teil ganz elementar. Dabei führt er auch in einem eigenen Abschnitt aus, was die Männlichkeits- und Genderkonzepte in der indischen Gesellschaft (seiner Meinung nach) sind. Problematisch ist allerdings, dass er hierbei implizit eine Dichotomie zwischen 'uns' (dem 'Westen' oder auch Deutschland) und 'ihnen' (Indien) aufbaut. Der 'Westen' und Deutschland werden weitgehend als Synonyme benutzt und jegliche Heterogenität innerhalb des 'Westens' so verdeckt. Zudem setzt Krauß 'uns' als die Norm, von der aus er die Konzepte in Indien als Abweichung analysiert. Die dichotome Vorstellung, dass der 'Westen' fortschrittlich ist und Indien rückständig wird reproduziert und nicht diskutiert. Es kommt zu pauschalisierenden Aussagen über die Männlichkeits- und Genderkonzepte in Indien, die der Heterogenität der indischen Gesellschaft nicht gerecht werden. Fruchtbar wäre es hier gewesen, wenn Krauß sich nicht nur auf Männlichkeitskonzepte beschränkt hätte sondern aus den Queer Studies das Konzept der Heteronormativität als Ausgangspunkt seiner Analyse herangezogen hätte. Damit hätte er auf die strukturelle Rolle von Männlichkeit in einer Gesellschaft, die Zweigeschlechtlichkeit und das gegenseitige sexuellen Begehren als Norm setzt, besser eingehen können. Positiv anzumerken ist aber, dass Krauß in seiner Analyse explizit Männer, die Sex mit Männern haben (um eine Bezeichnungspraxis aus Indien zu nutzen), mit berücksichtigt.

Im Hauptteil des Buches analysiert Krauß konkret die Männerbilder, in den von ihm analysierten Filmen. Einführend betrachtet er generell Gender-Bilder und männliche Stereotype im Bollywood-Kino, um dann zu einer differenzierten Darstellung von Männern im Kontext Familie, in Interaktion mit Frauen und mit anderen Männern sowie von Männerbildern jenseits der heterosexuellen Norm zu kommen. Abschließend nimmt Krauß sich noch der Themenfelder indischer Held, Starinszenierung und Körperrepräsentation sowie der Rolle von Emotionen (die tanzenden und singenden Männer) an. Mit dem letzten Punkt greift er eines der Themen auf, die in Deutschland besonders viel Beachtung bekommen. Dass ein Superstar wie Shah Rukh Khan nicht nur tanzt sondern auch hemmungslos auf der Leinwand weint, scheint für das 'deutsche' Publikum besonders unmännlich und damit erklärungsbedürftig zu sein. Krauß schließt sich aus meiner Perspektive dieser Sicht zu sehr an und reproduziert so die exotisierenden Bilder über die als anders definierten Inder_innen zu stark.

Krauß greift im Hauptteil viele spannende Punkte auf und bietet erste Analysen, die zum Weiterdenken anregen. In Bezug auf Gender, Nationalismus und Körper hätte er durchaus weitergehen können bzw. eine Autor_in aus diesem Fachgebiet wäre sicher weiter gegangen. Es scheint das Los eines interdisziplinären Ansatzes zu sein, immer Gefahr zu laufen, von Spezialist_innen einer Disziplin als nicht weitgehend genug empfunden zu werden.  Auf der Basis meines theoretischen Hintergrunds (verankert in der kritischen Rassismus- und Weißseinsforschung) fand ich insbesondere den Beitrag zum "European Look" (zur Hellhäutigkeit der Bollywood-Stars) zu wenig fundiert. Ansätze aus der Kritischen Weißseinsforschung hätten hier die Reproduktion der 'deutschen'/ 'weißen' Perspektive etwas abmildern können. Insgesamt hebt sich Krauß' Buch aber positiv von anderen Darstellungen über Bollywood ab. Viele Themenfelder werden angedacht, auch wenn sie nicht alle konsequent bis zu Ende geführt werden.

Das Buch bietet auch kleine Fundstücke: Durch Krauß habe ich den fünfzehnminütigen Remix Kaun mile deko kissko (Lass uns sehen, wer wen bekommt) von Kal ho na ho kennen gelernt. In diesem kurzen Film wird der queere Subtext von KHNH so zusammengeschnitten, dass es selbstverständlich wird, dass Shah Rukh Khan und Saif Ali Khan das Liebespaar sind. Jenseits der Leinwand scheint sich der Superstar Shah Rukh Khan allerdings von einem solchen Männerbild distanzieren zu müssen. Beim Panel 'Love International' des Berlinale Talent Campus weist er das Spielen eines schwulen Charakters weit von sich und betont seine Heterosexualität durch sexistische Bemerkungen.

Quellen

Florian Krauß (2007): Männerbilder im Bollywood-Film. Konstruktionen von Männlichkeit im Hindi-Kino. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 24,80 €.
ISBN 978-3-86573-303-0

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