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12. Dezember 2006. Rezensionen: Indien - Politik & Recht Tibet im Exil

Die Frankfurter Buchmesse 2006 hatte Indien als Partnerland. Trotzdem könnte es wertvoll sein, angesichts der fertig gestellten Bahnlinie nach Lhasa und ihrer geostrategischen Konsequenzen auch an das Schicksal Tibets und seiner Menschen, von denen ein Teil seine Heimat in Indien hat, zu erinnern, zumal dieses vor vier Jahren erschienene Werk trotz geopolitischer Veränderungen auch heute noch von Relevanz ist.

Dieses 415 Seiten umfassende Buch, das mit Unterstützung der Friedrich-Naumann-Stiftung erschien und auch in englischer Sprache vorliegt, ist sehr gründlich recherchiert und gibt im ersten Teil einen detaillierten Überblick über die Geschichte Tibets und das politische Umfeld, unter anderem auch aus indischer und chinesischer Sicht.

Vor allem die Beiträge von Michael (von) Brück: "Tibet das 'verschlossene' Land" und von Joachim Glaubitz: "Chinesische Anschauungen" zeichnen sich durch ihre profunde Sachkenntnis aus. Brück gibt im Rückblick der Jahrhunderte bis zur chinesischen Besetzung eine auch für den Laien verständlich Einführung in die wechselvolle Geschichte Tibets. Er unterstreicht auch die innen- und außenpolitischen Reformen des 14. Dalai Lama.

Im Gegensatz dazu fallen die Beiträge von Gyaneshwar Chaturvedi (Indische Visionen) und vor allem von Victor Chan (Im Blickwinkel des anderen China) - ein in dieser Form unnötiger Lückenfüller - deutlich im Niveau ab. Gyaneshwar Chaturvedi, Politik-Professor an der Universität Agra, verweist darauf, dass unter Premierminister Jawaharlal Nehru die indische Regierung das Kolonialerbe der Briten, Tibet als Puffer zwischen China und Indien zu behandeln, nicht bewahren konnte und durch ein Abkommen 1954 "...Tibet China überlassen..." wurde. Der aus dem Englischen übersetzte Beitrag weist im letzten Absatz editorische Unkorrektheiten auf und romantisiert ziemlich unvorbereitet: "Erlaubt man deshalb die Zerstörung der tibetischen Lebensweise, so würde dies unweigerlich mit Gefahren für die indische Identität selbst verbunden sein" (S. 74).

Der zweite Teil "Strukturen des Exils" wird überwiegend von Beiträgen tibetischer Autorinnen und Autoren geprägt und stellt die vielfältigen Anstrengungen der Tibeter im Exil vor, den Zusammenhalt und die Identität ihrer Gemeinschaft zu bewahren.

Tsering Norzom Thonsur, Abgeordnete der Assembly of Tibetan People's Deputies und an der Universität Mysore in Systemmanagement und Labortechnologie diplomiert, stellt in ihrem Beitrag "Tibeterinnen - Emanzipation im Exil" (S. 257-274) zuerst die Stellung der Frauen in ihren verschiedenen Rollen im traditionellen Tibet, "eine halbfeudale Gesellschaft", vor 1959 dar: "In Tibet gab es viele bewundernswerte Frauen, die dem tibetischen Unabhängigkeitskampf ihr Leben opferten. Frauen waren dafür bekannt, dass sie Hervorragendes in Bereichen wie Religion, Medizin und auf dem Schlachtfeld leisteten. Leider gibt es kaum Aufzeichnungen vom Leben dieser berühmten Frauen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Frauen im alten Tibet in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bei weitem liberaler eingestellt waren und größere Freiheiten genossen, als ihre Schwestern in anderen Teilen der Welt" (S. 262)

Die Autorin verweist dann auf die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber tibetischen Frauen und ihre "todesmutige Reise" in die Freiheit. "An der Grenze geschieht es oft, dass Frauen vergewaltigt werden - traumatische Erlebnisse für Frauen wie Kinder." (S. 265)

Die enormen Bildungsanstrengungen im Exil führten dazu, dass tibetische Frauen heute in der Lage sind, mit Kompetenz vielfältige Berufsrollen auszufüllen. Dagmar Bernstorff stellt sehr gut recherchiert im Kapitel 10 "Lebendige Kultur" (S. 241 – 256) die verschiedenen Institutionen vor, die in Indien dafür sorgen: 1.TIPA: das 'Tibetan Institute of Performing Arts' (Tibetisches Institut für die darstellenden Künste). 2. Das Central Institute of Higher Tibetan Studies, CIHTS (Institut für Tibetologie) in Sarnath. 3. Library of Tibetan Works and Archives (Tibetische Bibliothek und Archiv). 4. Das Norbulingka-Institut, das die traditionelle Kunst und insbesondere das Kunsthandwerk bewahren soll und 5. Tibet House in Delhi. All jene, die in Indien mehr über das Wesen der Exil-Tibeter und ihrer Kultur erfahren wollen, sollten besonders dieses übersichtliche Kapitel als Einführung lesen.

Während des Besuchs von Premierminister Atal Behari Vajpayee verpflichtete sich Indien Ende Juni 2003 dazu, "… den Tibetern nicht (zu erlauben, K. V.), sich in anti-chinesischen politischen Aktivitäten in Indien zu engagieren." Es wird interessant sein zu beobachten, ob davon die verdienstvolle Zusammenarbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Organisationen der Exil-Tibeter, so unter anderem mit dem "Tibetan Parliamentary and Policy Research Center", vor Ort in Indien in Zukunft betroffen werden könnte. Eine zum Beispiel in Delhi durchgeführte Veranstaltung über die "Militarsierung Tibet´s und ihre Auswirkungen für Indien" könnte von den chinesischen Machthabern durchaus in diesem Sinne interpretiert werden. Während des November Besuchs 2006 von Hu Jintao wurden die bekannten chinesischen Positionen gegen die tibetische Exilregierung in Indien und gegen den Dalai Lama wiederholt. Für das indische Establishment scheinen die Anliegen der Tibeter aus übergeordneten machtpolitischen Erwägungen der angestrebten Zusammenarbeit mit dem großen Nachbarn im Norden zunehmend in Vergessenheit zu geraten.

Quelle: (Gräfin) Dagmar Bernstorff und Hubertus von Welck (Hrsg.): Tibet im Exil. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2002, ISBN: 3-7890-7993-6

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