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30. Oktober 2002. Nachrichten: Politik & Recht - Nepal Gesprächsangebot

Maoisten akzeptieren erstmals König als Verhandlungspartner

In einer erstaunlich nachgiebig formulierten Erklärung hat der Vorsitzende der maoistischen Rebellen, Prachanda, am 25. Oktober 2002 Verhandlungen mit Vertretern der großen Parteien und König Gyanendra vorgeschlagen. Damit hat die Führung der CPN (Maoist), die nach sechs Jahren "Volkskrieg" gegen die überkommenen Herrschaftsordnungen im Königreich in weiten Teilen des Landes ihre eigene, ebensowenig pluralistische Herrschaft etabliert hat, indirekt erstmals die Rolle des Königs für eine zukünftige Friedenslösung anerkannt.

Der nach dem Massaker an seinem Bruder Birendra und dessen Familie im Juni 2001 inthronisierte Monarch galt den Rebellen bisher allein als Faschist und Marionette indischen Großmachtstrebens. Die von Gyanendra Mitte Oktober ernannte Regierung hatte in ihrer Regierungserklärung Friedensverhandlungen als eines ihrer vordringlichsten Ziele benannt. Eine Antwort auf Prachandas Erklärung stand allerdings bis Anfang November aus.

Während Palast und Regierung offenbar bezweifeln, dass das Angebot ernst gemeint ist und langfristig verfolgt wird, fordert der überwiegende Teil der nepalischen Presse konkrete Schritte, um die Maoisten an den Verhandlungstisch zu bringen. Das Land sei durch die Angriffe der Rebellen und durch Vetternwirtschaft und Korruption der parlamentarischen Parteien derart ruiniert, dass jeder Strohhalm ergriffen werden müsse, so dünn er auch sei.

Verbunden mit dem wachsenden Druck der indischen Regierung, die verstärkt die Grenze überwacht und Krankenhäuser in Bihar und Uttar Pradesh nach nepalischen Verwundeten durchsucht, könnte das Angebot tatsächlich eine "weiche Landung" vorbereiten - ein Bekenntnis zur Mehrparteiendemokratie im Gegenzug für die Anerkennung ihrer Macht in vielen ländlichen Gebieten und einen weitgehenden Rückzug der Monarchie aus der Politik. Ziel der Maoisten könnte es demnach sein, die militärischen Verluste durch ein politisches Angebot wett zu machen - schließlich wurde schon bald nach dem 4. Oktober deutlich, dass die Machtübernahme des Königs weder das Vertrauen in dessen Unabhängigkeit gestärkt noch sonderlich Mitleid durch Medien und Öffentlichkeit mit den Parteien ausgelöst hat.

Taktische Überlegungen

So festgefahren ihr Weltbild auch ist, haben die Rebellen doch schon mehrmals entscheidende Wechsel vollzogen, etwa als sie König Birendra nach dessen Ermordung als heimlichen Verbündeten gegen Indien entdeckten. Einiges spricht deshalb für die Ernsthaftigkeit des Angebots: Seit die Maoisten vor drei Monaten erklärten, ein "strategisches Gleichgewicht" gegenüber der Armee erreicht zu haben, haben sie keineswegs die nun erhoffte Offensivposition erreicht, sondern mussten militärische Rückschläge hinnehmen. So auch am 28. Oktober, wenige Tage nach Abgabe des Verhandlungsangebotes, als bei einem Angriff auf den Flugplatz von Rumjatar im östlichen Distrikt Okhaldhunga fast 2.000 Maoisten an den Befestigungen und der Kampfkraft von 61 Soldaten scheiterten, obwohl deren Kommandeur schon zu Beginn der Gefechte getötet worden war.

Das Gesprächsangebot könnte also eine einfache Finte gewesen sein, um die Offensive in Okhaldhunga unerwarteter erscheinen zu lassen. Teile der Presse vermuteten, dass der Parteiführung der Maoisten langsam die Kontrolle ihrer Feldkommandeure entgleite. Für diesen Fall ist das jedoch unwahrscheinlich, schließlich handelte es sich um eine der bisher größten Offensiven im Osten des Landes, die den Aufmarsch von Einheiten aus mehreren Distrikten erfordert haben dürfte. Angesichts maoistischer Wahrnehmungsmodi scheint eher eine zweigleisige Strategie möglich - mit militärischen Offensiven politische begleiten, oder den Gegner politisch schwächen, wenn die militärische Schlagkraft nicht ausreicht. In einem Interview vor zwei Jahren hatte Prachanda ausführlich Bezug genommen auf Maos vorgebliche Verhandlungen mit Chiang Kai-Shek zur Einrichtung einer Übergangsregierung,<strike> </strike>die der Große Steuermann zur Verstärkung seiner revolutionären Bataillone nutzte.

Wichtiger könnte allerdings Prachandas damaliger Bezug auf Lenins Drängen sein, das demütigende Brest-Litovsk-Abkommens unbedingt abzuschließen: Um das intern Erreichte zu sichern, müssten die Großmächte ruhig gestellt werden. Die nepalische Regierung erhofft sich umfangreiche Waffenlieferungen von europäischen Staaten und den USA, die dort jedoch umstritten sind.

So war im Sommer 2002 Belgien in eine Regierungskrise gestürzt, nachdem die flämischen Grünen den Verkauf von 5.500 Sturmgewehren verweigert hatten. Um den Fortbestand der Koalition zu sichern, einigten sich Sozialdemokraten und Grüne, die Waffen nur bei Verbesserung der Menschenrechtslage zu liefern. Mitte Oktober besuchte eine belgische Delegation Nepal. Eine Entscheidung steht noch aus, wird aber dieser Tage erwartet.

Doch die wirklichen Geschäfte werden nicht mit belgischen Waffen gemacht: Im Mai 2002 hat die deutsche Regierung einen Antrag von Heckler & Koch auf Lieferung von 56.000 G-36 Sturmgewehren vorerst gestoppt. Bei einem positiven belgischen Entscheid könnte der Bundessicherheitsrat - entgegen den Richtlinien der Bundesregierung zum Export von Kriegswaffen - die "Unterstützung einer jungen Demokratie" - so damals der belgische Außenminister - über das Verbot stellen, gewaltsame interne Konflikte weiter anzufachen.

Die britische Regierung hat bereits im August 6 Mio. Pfund zusätzlicher Militärhilfe genehmigt, die US-Regierung 20 Mio. US-Dollar. Im Finanzjahr 2003 will sie neben den Geldern für USAid in Nepal auch die Waffenlieferungen weiter aufstocken.

Das Verhandlungsangebot der Maoisten könnte vor allem auf diese internationale Ebene abzielen. Demnach soll ein Gesprächsangebot die Zweifel in den Geberländern, teure Waffentechnologie an eines der ärmsten Länder der Welt zu liefern, bestärken.

Ein wirklicher Wandel der Herrschaft in Nepal hängt jedoch nicht vom Ausland, sondern - sofern das Land eine parlamentarische Demokratie bleiben soll - von den Parteien ab: Sie haben es nicht nur versäumt, sich als demokratische Alternative zu etablieren, sondern sind derart in Rangkämpfe vertieft, dass sie gar nicht bemerkt haben, wie sie zwischen extremer Rechten und Linken aufgerieben werden. Doch weder der Monarchie noch den Maoisten sollte erlaubt werden, das Land endgültig zu polarisieren und die Verfassung einfach über den Haufen zu werfen.

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