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07. Februar 2010. Nachrichten: Indien - Kunst & Kultur Indische Filmbeteiligung auf der Berlinale 2010

Die mittlerweile zur Floskel avancierte Umschreibung Indiens als Land der Kontraste drängt sich auch auf, betrachtet man die Beteiligung indischer Filme auf der diesjährigen Jubiläums-Berlinale: Die größte (indische) Filmindustrie trifft auf die zart sprießenden Entwicklungen der Filmindustrie in Indiens Bundesstaat Goa.

Der Mann, der maßgeblich verantwortlich für die Initiierung dieser Reifung filmischen Schaffens im kleinsten indischen Bundesstaat ist, heißt Laxmikant Shetgaonkar. Der in Goa geborene Filmemacher setzt sich intensiv dafür ein, das Filmschaffen und die Filmrezeption in seiner Heimat zu stärken und voranzutreiben. Mit seinem in der Sprache Konkani gedrehten Film "Paltdacho Munis - The man beyond the bridge" (2009) ist er nun im Forum vertreten. "Paltadacho Munis" erzählt die Geschichte eines zurückgezogen lebenden Mannes, der eine Freundschaft und schließlich tiefer werdende Beziehung zu einer Frau aufbaut, die gesellschaftlich verstoßen ist. Im Film wird das Spannungsfeld sozialer Restriktionen, wie sie im dörflichen Kontext Goas Gültigkeit besitzen, nachgezeichnet und problematisiert. Verdächtigungen und Vorurteilen sind auch die Protagonisten aus Karan Johars neustem Film "My name is Khan" (2010) ausgesetzt. Shah Rukh Khan spielt den gleichnamigen Protagonisten in diesem, im Wettbewerb außer Konkurrenz laufenden Beitrag. Nach den Terroranschlägen auf die Twin Towers in New York sehen sich der unter Autismus leidende Khan und seine Frau mit zahlreichen Schwierigkeiten angesichts seiner muslimischen Religionszugehörigkeit konfrontiert.

Ein weiterer Berlinale-Beitrag aus der indischen Traumfabrik wird mit "Peepli live - The falling" (2009) zu sehen sein (Berlinale Special). Das Spielfilm-Debüt der Regisseurin Anusha Rizvi greift ein Thema auf, welches in ähnlicher Weise - nur weniger komödiantisch - im Marathi-Kino-Kontext ("Gabricha Paus - The damned rain" von Satish Manwar) im letzten Jahr in den indischen Lichtspielhäusern zu sehen war: Bauern, die als letzte Lösung für ihre Probleme - im Fall von "Peepli live" sind es Schulden - den Suizid sehen. Der tragikkomische Aspekt rührt in diesem Film daher, dass ein armer Bauer im ländlichen Indien seinen geplanten Selbstmord medienwirksam in Szene setzt und auf diese Art und Weise erfolgreich die Aufmerksamkeit von Regierungsseite auf die Probleme im Dorf Peepli lenkt.

In der Festivalsektion Generation laufen gleich zwei indische Beiträge. Der marathisprachige Film "Vihir - The well" (2009) von Umesh Vinayak Kulkarni (über den an dieser Stelle bereits berichtet wurde; http://www.suedasien.info/nachrichten/2837) hat während dieser Berlinale einen besonderen Grund zu feiern: es ist nach 35 Jahren der erste Spielfilm aus dem indischen Bundesstaat Maharashtra, der eine Berlinale-Leinwand bespielt. "Samna" von Jabbar Patel lief 1975 im Wettbewerb. Mohan Agashe, der damals eine der Rollen in »Samna« besetzte, wird auch mit "Vihir" wieder nach Berlin kommen, denn, ebenso wie in Kulkarni's erstem Spielfilm "Valu" (2007), hat er auch in "Vihir" eine der Rollen inne. Freundschaft und Abschied stellen die thematischen Eckpfeiler dieses ruhig erzählten Filmes dar.

In der indisch-US-amerikanischen Koproduktion "Road, Movie" (2009) - dem zweiten indischen Generations-Beitrag - steht Kino selbst im Zentrum des Filmes. Nur folgerichtig ist es daher, dass dieser Film, der knatternde Projektoren und in der indischen Weite wehende Kinoleinwände zum erzählerischen Rotationszentrum macht, auch die Generations-Sektion eröffnet. Dev Benegals Werk ist ein Road-Movie im wahrsten Sinne des Wortes und ähnelt mit seiner Darstellung der 'magic of movies' thematisch dem 2007 auf der Berlinale laufenden Dokumentarfilm "Comrades in Dreams - Leinwandfieber" von Uli Gaulke.

Auch Shyam Benegal, Altmeister des indischen Kinos und Vater des Regisseurs von "Road, Movie", ist mit einem Film auf den Berliner Filmfestspielen vertreten. In der Sektion "Kulinarisches Kino" wird der 1976 veröffentlichte Film "Manthan - The churning" gezeigt. Ferner wird mit "Charulata - The lonely wife" (1963/64) von Satyajit Ray der Blick zurück in die Vergangenheit indischen Filmschaffens und der Berlinale-Geschichte geworfen - 1965 lief dieser Film im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele. Ray, jener Filmemacher Indiens, der die häufigste Beteiligung eines eigenen filmischen Werkes auf der Berlinale verzeichnet, visualisiert in "Charulata" das Suchen und Finden der Liebe eines Ehepaares im intellektuellen bengalischen Milieu des Kalkutta der 1880er Jahre. Ebenso wie dieser Film wird auch die indisch-US-amerikanische Koproduktion "The river" (1949-51) von Jean Renoir in der Sektion Retrospektive PLAY IT AGAIN ...! gezeigt. Jener dritte 'Rückblick' zeigt das Leben einer am Ufer des titelgebenden Flusses lebenden englischen Familie, deren Töchter sowie die Tochter eines Nachbarn sich in den angereisten amerikanischen Fremden verlieben. Tod und Geburt, Trauer und Freude liegen nah beieinander in diesem Film, der das Leben im/am Fluss dokumentiert.

Das größte Diskussionspotential unter den indischen Berlinale-Filmen birgt "Aarekti Premer Golpo - Just Another Love Story" (2009) von Kaushik Ganguly und Rituparno Ghosh. Im Sommer letzten Jahres wurde in Indien eine Grundsatzentscheidung gefällt, die jenen Paragrafen des indischen Strafgesetzbuchs, nach dem Homosexualität in Indien strafbar ist, für nichtig erklärte. Der einzig indische Panorama-Beitrag wird durch die Erzählung seines zentralen Protagonisten einen Eindruck von der Bürde vermitteln, die zu tragen ist, wenn Liebe zum gleichen Geschlecht unter Strafe steht.

Unterschiedliche indische Filme verknüpft die Dokumentarfilmerin Madhusree Dutta in ihrer Installation »Cinema City« zum filmischen Gesamtkunstwerk, welches im Rahmen des Forum Expanded zu sehen sein wird.

Die Facetten der auf der 60. Berlinale präsentierten indischen Filmbeiträge sind so vielfältig wie das Land Indien selbst. Mit den insgesamt zehn indischen Filmwerken aus Indien in fünf verschiedenen Sprachen (Hindi, Englisch, Bengali, Marathi, Konkani) wird die Straße zum Kino ("Road, Movie"), das Dorf zum Setting ("Peepli live") und die Stadt zur "Cinema City".

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