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14. Juli 2008. Nachrichten: Nepal - Politik & Recht Hoffen auf die Republik

Der König musste seinen Palast räumen, die Politiker in der Republik Nepal verhandeln über die Regierungsbildung. Stärkste Partei sind die Maoisten, die sich kompromissbereit geben, aber bei ihren Wählern hohe Erwartungen geweckt haben.

Die über dem ehemaligen Königspalast gehisste rote Fahne wäre das spektakulärste Symbol des Sieges geworden. In einer schwarzen Limousine verließ der ehemalige Monarch Gyanendra stolzen Hauptes am 11. Juni sein Anwesen in der Innenstadt Kathmandus und deutete düster an, auch in Zukunft die Geschicke des Landes beeinflussen zu wollen. Statt vor möglicher Strafverfolgung ins Exil zu fliehen, begab sich der finanziell durch zahlreiche Unternehmensbeteiligungen abgesicherte ehemalige König zu seinem Sommer­palast.

Der Wahlsieg der Maoisten, die mit mehr als 30 Prozent der Stimmen stärkste Partei wurden, wird in Nepal in erster Linie als klares Votum für die Abschaffung der vor 240 Jahre gegründeten Monarchie gewertet. So feierten auch mehrere hunderttausend Nepalis die Ausrufung der Republik im ganzen Land. Rot war die Farbe der Wahl, die Maoisten die strahlenden Tagessieger.

Als jedoch die Verhandlungen zur Regierungsbildung begannen, wurde deutlich, dass die Maoisten nicht alle ihre Forderungen durchsetzen können. Auf symbolischer Ebene schmälerte Girija Prasad Koirala, der 83jährige Vorsitzende der konservativen Partei Nepali Congress, den Enthusiasmus der Maoisten. Bevor ein Maoist mit der roten Fahne zur Stelle war, hisste er wenige Tage nach Gyanendras Auszug die Nationalfahne über dem Königspalast, der nun zu einem Museum um­gebaut werden soll.

Da eine Regierung der Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten bedarf, mussten die Maoisten mit anderen Parteien verhandeln, insbesondere mit dem Nepali Congress und den Sozial­demokraten der CPN-UML (Kommunistische Partei Nepals-Vereinigte Marxisten-Leninisten). Diese Parteien stellen trotz der Verluste bei den Wahlen die zweit- und drittgrößten Fraktionen der Versammlung.

Überraschend stimmten am Dienstag voriger Woche alle Parteien einer Verfassungsänderung zu und ermöglichten damit die Bildung einer Regierung mit einfacher Mehrheit. Während der Gespräche der vergangenen Wochen, die meist hinter verschlossenen Türen stattfanden, änderten sich die Koalitionen mitunter mehrmals täglich. In den Verhandlungen, in deren Mittelpunkt die Besetzung des Präsidenten- und Premierministerpostens standen, kristalliert sich eine Koalition von Maoisten und UML heraus. Der Nepali Congress kündigte an, in die Opposition zu gehen, nachdem die Maoisten der grauen Eminenz Koirala beharrlich das Präsidentenamt verweigert hatten. Ausgemachte Sache scheint in jedem Fall die Übernahme des Premierministeramts durch den maoistischen Parteivorsitzenden Prachandra.

Erste Einigungen erzielten alle in der verfassung­gebenden Versammlung vertretenen sieben Parteien in anderen Fragen. So wurde ein ambitionier­ter Plan formuliert, der die Fusion beider Armeen und die Reintegration der demobilisierten Guerilleros innerhalb von sechs Monaten vorsieht. Weiterhin sollen bestehende paramilitärische Verbände wie die maoistische Jugendorganisation YCL (Young Communist League) binnen zwei Wochen aufgelöst werden. Der gleiche Zeitraum gilt für die Überprüfung von Enteignungen, die während des »Volkskriegs« vollzogen wurden. Ländereien und Eigentum sollen demnach an ihre ehemaligen Besitzer zurückgegeben werden, andernfalls drohen Sanktionen.

Die Rolle der UN-Mission in Nepal war ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen. Nach dem Willen der Versammlung soll das Mandat der Vereinten Nationen deutlich eingeschränkt werden und im Wesentlichen Demobilisierungsfragen regeln.

Der verbissene Kampf um Ämter seit der Ausrufung der Republik ist nicht untypisch für die Parteipolitik Nepals. Vetternwirtschaft, Korruption, Machtpolitik und die Konzentration auf den eigenen Postenerhalt haben eine lange Tradition bei Congress und UML, dies dürfte den unerwarteten Wahlsieg der Maoisten stark gefördert haben. Sie haben das Verhalten der anderen Parteien wiederholt angegriffen und einen radikalen Wandel versprochen.

Nach einer erfolgreichen Koalitionsbildung müssen die Maoisten sich an hohen Erwartungen messen lassen, sie haben weitreichende soziale Versprechen gemacht. Überdies bedarf die Republik neuer Institutionen, in den nächsten zwei Jahren soll eine neue Verfassung formuliert werden, die ehemaligen Kriegsgegner, Soldaten und Guerilleros, müssen in eine gemeinsame Armee integriert werden. Die bislang königstreue Militärführung gilt als Gegner dieses Projekts.

Darüber hinaus muss die neue Staatsmacht sich auch durchsetzen. Entführungen, aus politischen wie aus ökonomischen Gründen, Übergriffe und auch Morde an politischen Gegnern sind trotz des Endes des Bürgerkrieges weiterhin an der Tagesordnung. Insbesondere im Terai, im Flachland Südnepals, hat die extrastaatliche Gewalt ungekannte Ausmaße erreicht.

In außenpolitischen und wirtschaftlichen Fragen geben sich die Maoisten bereits staatsmännisch. So nahm die Parteispitze unverzüglich Kontakte zu den beiden großen Nachbarstaaten China und Indien auf und versicherte, an den intensiven diplomatischen Beziehungen werde sich nichts ändern, auch ein sicheres Investitionsklima werde garantiert. Betrachteten die nepalesischen Maoisten während ihrer Zeit im Untergrund das chinesische Regime noch als Clique vom Pfad abgewichener Revisionisten, so ist diese Perspektive nun dem Pragmatismus gewichen. Während die Maoisten für Nepal stets die Autonomie der verschiedenen Bevölkerungsgruppen fordern und für deren Durchsetzung eigene Befreiungsfronten gründeten, sagte Prachandra den KP-Gesandten aus Peking seine volle Unterstützung im Kampf gegen tibetische Autonomiebestrebungen zu. In den vergangenen Monaten kam es in Nepal immer wieder zu Protesten tibetischer Flüchtlinge, die häufig von der Polizei gewaltsam unterbunden wurden.

Pragmatismus kennzeichnet auch die ökonomische Strategie der Partei. "Wir kämpfen nicht gegen den Kapitalismus, sondern gegen den Feudalismus. Unsere Agenda ist es, industriellen Kapitalismus zu befördern, um die Reste des Feudalismus zu überwinden", versicherte Baburam Bhattarai, der ideologische Vordenker der Maoisten, den nepalesischen Unternehmern im Mai. Wer den wissenschaftlichen Sozialismus verstehe, erläutert Prachandra, verstehe auch, dass "er seine Ideologie entsprechend der veränderten Situation weiterentwickeln muss".

Vorige Woche wurde das Kathmandu-Tal fünf Tage lang von Streiks lahmgelegt, die verschiedene Parteien, Studentenorganisationen und Unternehmerverbände aus Protest gegen die steigenden Nahrungs- und Rohstoffpreise organisiert hatten. Eine maoistisch geführte Regierung könnte großen Teilen der Bevölkerung unmittelbare Entlastung verschaffen. Die Armut zu überwinden, dürfte sich als weit schwieriger erweisen, und auch die Sozialstruktur, geprägt durch das Kastenwesen, die Unterdrückung von Frauen und eine Hierarchie der Bevölkerungsgruppen, ändert sich nicht durch Regierungsdekrete allein.

Quelle: Der Artikel erschien im Original am 3. Juli 2008 in der Jungle World 27.

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