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22. Januar 2004. Nachrichten: Wirtschaft & Soziales - Indien Eine zweite Supermacht?

Das Weltsozialforum 2005 zieht wieder nach Porto Alegre. 2006 ist Afrika anvisiert.

Während am Mittwoch in den Schweizer Alpen die Mächtigen der Welt zusammenkamen, marschierten 7000 Kilometer entfernt zehntausende Globalisierungsgegner durch die Straßen der indischen Millionenstadt Mumbai. Das mit 120.000 Teilnehmern aus 151 Ländern bislang größte Weltsozialforum ging zu Ende.

Mumbai. Während auf dem Gelände, auf dem in den letzten sechs Tagen über 1200 Veranstaltungen stattfanden, schon am Vorabend mit dem Abbau der Stände und dem Aufsammeln riesiger Papiermengen begonnen wurde, machten sich die Teilnehmer des Weltsozialforums an seinem letzten Tag auf, um sein Motto "Eine andere Welt ist möglich" und die Forderung "Stoppt den Krieg" im südlichen Teil der Millionenstadt auf die Straße zu tragen.

Etwa 30.000 TeilnehmerInnen hatten sich bis zum Mittag im Auguste Kranti Park in der Nähe der Grant Road Station eingefunden. Mehrere Redner erklärten ihre Solidarität mit den weltweiten Protesten gegen Krieg und Besetzung Iraks. Die Mumbaier beobachteten dieses Bild von Menschen aus aller Welt etwas irritiert, nahmen aber das Schauspiel während der Mittagszeit gerne in Kauf.

Die Veranstalter zogen eine durchweg positive Bilanz: Das Treffen habe gezeigt, dass die Bewegung wachse und sich zu einem stabilen globalen Rahmen für den internationalen anti-neoliberalistischen Protest entwickelt habe. "Die Bewegung ist die zweite Supermacht in der heutigen politischen Welt und im Moment die einzige Alternative gegen den Neoliberalismus", schätzt Vittorio Agnoletto, Sprecher des Genueser Sozialforums, den Einfluss des WSF ein. Auch für die indischen Organisatoren war das WSF ein Erfolg. Sie sind überzeugt, das Treffen werde eine große Wirkung auf die politischen Verhältnisse in Indien haben.

Deutsche Delegationsmitglieder sind ebenfalls voll des Lobes. Für Winfried Steen, Vize-Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes, hat das WSF "ein eigenes Gesicht" bekommen. Während in Porto Alegre, dem Ort der ersten drei Auflagen, eine westlich geprägte politische Kultur dominierte, stehe das WSF in Mumbai für die verschiedenen Formen politischen Ausdrucks. Neben großen Debatten dominierten in Mumbai die Agitationsformen des Straßentheaters und die musikalische Ausdrucksfähigkeit der asiatischen Graswurzel-Bewegungen. Auch deutsche Attac-Vertreter zeigten sich beeindruckt: "Der pluralistische und gleichzeitig entschlossene Geist der Weltsozialforen hat zwei Ozeane übersprungen und ist nun wirklich global."

Neben vielen Verabredungen zwischen Projektpartnern und der Aufnahme neuer Erfahrungen aus den Kämpfen anderer sozialer Bewegungen gab es weitere Ergebnisse: So haben Friedensgruppen und Globalisierungskritiker zu weltweiten Protestaktionen für den 20. März aufgerufen. Sie sollen sich gegen den Krieg und die Besetzung Iraks durch die USA richten. Ein Netzwerk sozialer Bewegungen beschloss zudem einen globalen Aktionstag zur kommenden WTO-Ministerkonferenz in Hongkong.

Das nächste Weltsozialforum wird 2005 wieder in Brasilien stattfinden. Ein Jahr später soll nach dem Willen einiger Ratsmitglieder des Forums dann Afrika zum weltweiten Treffen der "Globalisierungskritiker" einladen. Die geringe Beteiligung aus Afrika in Mumbai war für viele Teilnehmer sehr enttäuschend.

Es mehren sich unterdessen Stimmen, die eine Veränderung des Weltsozialforums anstreben. So etwa wird ein Modus gefordert, der das WSF in eine weltweite Massenkampagne verwandelt, die in Krisensituationen intervenieren kann. Hier scheint sich ein Konflikt abzuzeichnen – ebenso wie bei der oft aufgeworfenen Frage, ob es zu einer Annäherung zwischen sozialen Bewegungen und als fortschrittlich angesehenen politischen Parteien kommen sollte. Das Treffen hat jedenfalls gezeigt: die sehr unterschiedlichen sozialen Bewegungen, Aktionsgruppen und Netzwerke vereint ein starkes Bedürfnis nach einem Austausch von Erfahrungen und Konzepten. Darin liegt auch weiterhin die Stärke des Treffens.

Quelle: Der Beitrag erschien am 22. Januar 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

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