Inhalt

07. Juli 2011. Kommentare: Indien - Wirtschaft & Soziales Eine hausgemachte Katastrophe

Zur drohenden Vertreibung indigener Gruppen durch das Indira-Sagar-Staudamm-Projekt

Vor 50 Jahren begann die indische Regierung mit der Planung des derzeit größten Staudamm-Bauvorhabens in Indien, dem Indira Sagar Polavaram Projekt im Norden von Andhra Pradesh. Die Stauung am Godavari-Fluss betrifft in erster Linie Dörfer, die meist von indigener Bevölkerung, wie den Konda Reddy, bewohnt werden. Die Umsetzung des Großprojekts wird zu einer Flutung von mindestens 276 Dörfern führen, 400.000 Menschen werden vertrieben, 4.000 Hektar Waldboden tribaler Gemeinschaften werden verloren gehen. Im Jahr 2005 genehmigte die indische Regierung den Bau des Polavaram-Staudamms. Seitdem kämpft die Bevölkerung gegen den Landverlust und für den Erhalt ihrer Lebensräume.

Die Regierung von Andhra Pradesh arbeitet intensiv daran, ihr Prestigeprojekt mit allen Mitteln zu verwirklichen. Als Argument dient ein groß angelegtes Bewässerungsprogramm. Ungefähr 300.000 Hektar Land sollen durch Bewässerung neu erschlossen werden. Nun haben Wissenschaftler Zahlen veröffentlicht, die besagen, dass zwischen 71 und 95 Prozent der Region bereits von existierenden Bewässerungsprogrammen profitieren. Angesichts der Tatsache, dass Gesetze zum Schutz der indigenen Bevölkerung offensichtlich von der Regierung des Bundesstaates untergraben werden, bleibt zu hoffen, dass das Prestigeobjekt aus Geldmangel fallen gelassen werden muss. Andhra Pradesh hat es bisher versäumt, einen Förderer für das Großprojekt aufzutreiben. 296 Millionen Euro soll der Damm kosten, inklusive der Entschädigungszahlungen an Vertriebene. Hinzukommend befindet sich Andhra Pradesh in einem Rechtsstreit mit dem Nachbarstaat Odisha: bei einer Stauung des Godavari würden auch Dörfer im Nachbarbundessaat Odisha geflutet werden. Odisha hat bislang ein klares Veto gegen den Bau des Polavaram-Staudamms und die Überschwemmung von 10 Dörfern tribaler Gemeinschaften eingelegt. Solange die beiden Bundesstaaten zu keiner Einigung finden, darf Andhra Pradesh mit den Damm-Bau nicht weiterführen. Trotzdem wird, ohne Erlaubnis aus Delhi, in kleinen Kanälen die Arbeit vorangetrieben.

Grafik Polavaram-Staudamm-Projekt
Grafik der Zeitschrift "Down to Earth" zum Indira-Sagar-Staudamm-Projekt Foto: Down to Earth

Im Mai 2011 reiste Richard Mahapatra, Journalist der Zeitschrift Down to Earth, in Dörfer der betroffenen Region, um sich ein Bild von der aktuellen Situation zu machen. Er besuchte unter anderem das Konda-Dorf Kurturu, welches direkt am Godavari-Fluss liegt. Die Konda leben von Fischfang und den Erträgen, welche ihnen die Wälder bringen. Durch die Flutung wird ihr Dorf verschwinden, ebenso die Wälder. Die Regierung plant, das Dorf 15 km entfernt in die kargen Hochebenen umzusiedeln. So verlieren die Konda nicht nur ihren traditionellen Lebensraum, die Basis ihrer indigenen Kultur, Anbau- und Ernährungsformen gehen ebenfalls verloren.

In der Hoffnung, den Dammbau verhindern zu können, hatten die Einwohner von Kurturu im Jahr 2008, gemeinsam mit Bewohnern aus 51 anderen Dörfern eine Klage eingereicht, die zu einem zwischenzeitlichen Baustop des Dammes geführt hatte. In der Schrift wurde die ihnen drohende kulturelle Entwurzelung beschrieben, sowie der Umstand moniert, dass bislang keinerlei Anerkennung ihrer Waldnutzungsrechte erfolgt war. Die Regierung ist verpflichtet, öffentliche Anhörungen und Aufklärungskampagnen bezüglich des Dammbaus und den Gesetzen zum Schutz der indigenen Bevölkerung durchzuführen. Dies war nicht geschehen. Tatsächlich lagen für 100 Dörfer aus der geplanten Überflutungszone weder Anerkennungen von Waldnutzungsrechten noch Pläne zu Entschädigungsvorhaben vor.

Die tribalen Gemeinschaften rund um Polavaram verfügen theoretisch über Nutzungsrechte der Wälder in ihrem Areal. Diese Nutzungsrechte sind aber nur wirksam, wenn sie zuvor von den Forstbehörden bestätigt worden sind. Der Forest Rights Act (FRA) besagt, dass den Waldbewohnern kein Land entzogen werden darf, solange sie nicht vollständig über ihre Rechte informiert und über ihre Waldnutzungsrechte abschließend entschieden worden ist. Nur eine Anerkennung von Waldnutzungsrechten garantiert also den rechtmäßigen Ersatz eines durch staatliche Unternehmungen verloren gegangenen Waldgebietes. Eine Entschädigung muss, laut Gesetz, auch traditionelle und kulturelle Lebensweisen der ansässigen Bevölkerung berücksichtigen. Oftmals wird die Bevölkerung jedoch von den Betreibern großer Bauvorhaben und den Forstbehörden gezielt über ihre Rechte im Dunkeln gehalten. Dieser Umstand wird von den Bauunternehmern und Regierenden ausgenutzt, die Bevölkerung wird schließlich enteignet und vertrieben, ohne ihre Ansprüche aus dem FRA geltend machen zu können.

Weiter haben Forscher der Universität Hyderabad ans Licht gebracht, dass Antragsstellungen im Rahmen des FRA von vornherein abgeschmettert wurden. Bislang konnte keines der betroffenen Dörfer eine Anerkennung seiner Waldnutzungsrechte erwerben. Auch die Bewohner des Dorfes Mulagalagudem hatten 2008 ihre Ansprüche formuliert. Dem Dorf gehören über 450 Hektar Land, welches in großen Teilen gemeinschaftlich mit Bambus bebaut wird. Bei einer Flutung würden Dorf und Anbauflächen verloren gehen. Die Bewohner stünden, auch ökonomisch betrachtet, vor dem Nichts. Ihre Forderungen sind nicht wirksam dokumentiert worden und sind in dem Knäuel der Bürokratie "verloren gegangen".

In Ergänzung zum FRA wurde vor fünf Jahren PESA (Panchayat Extension to the Scheduled Areas) verabschiedet. Das Gesetz besagt unter anderem, dass kein Dorf aus einer Region, die als "Stammesgebiet" eingetragen ist, ohne die Genehmigung seines Rates Land abgeben muss. Der Dorfrat besitzt in diesem Fall absolute Autorität über seine Wälder. Keine Regierungsinstitution, außer dem indischen Präsidenten selbst, kann diese entkräften. Beim Polavaram-Staudamm gibt die Regierung von Andhra Pradesh jedoch vor, von Dorfräten Einverständnisse bezüglich Landübergaben erhalten zu haben, obwohl nachweislich weder Treffen abgehalten noch Zustimmungen von Dorfräten erteilt worden sind. Mittels gefälschter Vollmachten sah sich die Polizei in dem Versuch legitimiert, Umsiedlungen gewaltsam durchzuführen. So zum Beispiel im Dorf Devaragundi: Die Bewohner des Dorfes sollten in eine Rehabilitations-Kolonie in der nächstgelegenen Stadt umgesiedelt werden, wehrten sich aber erfolgreich gegen die Polizisten und leben – verbarrikadiert – weiter in ihrem Dorf.

Zu der drohenden Entwurzelung stellen sich weitere Probleme: die Bewohner von Devaragundi sollen, wie 28 weitere tribale Dörfer, in nicht-tribale Gebiete umgesiedelt werden. Hier wird ihr Sonderstatus, welcher nicht nur über ihre Abstammung, sondern auch über ihren geographischen Lebensraum juristisch definiert ist, verfallen; gesonderte Landnutzungsrechte gehen so verloren. Weiter bekommt die nicht-indigene Bevölkerung, die in den betroffenen Gebieten lebt, generell keine Entschädigung in Form von Land, sondern Geld. So werden die bestehenden Dorfstrukturen auf einer weiteren Ebene auseinander gerissen; in einigen Dörfern fallen, nach einer Umsiedelung, 20 Prozent der Bewohner einfach weg.

Der Mangel an 'freiem Land' in den Gegenden, in welche Umsiedlungen erfolgen sollen, führt zu weiteren Konflikten. Die Ansiedlung von Indigenen in nicht-indigenen Gebieten erfolgt nicht nur gegen den Willen der Vertriebenen, sondern auch gegen den der bereits ansässigen Bevölkerung. Auch sie muss Land abgeben. So entstehen Spannungen zwischen alten Anwohnern und den entwurzelten "Neuen". Das Ministerium für Tribale Angelegenheiten unterstützt die Konda-Gemeinschaften und versucht mit Nachdruck, das Bauvorhaben als nationales Projekt einstufen zu lassen, auch, um vor den nationalen Gerichtshöfen Indiens die Nicht-Verletzung indigener Rechte einfordern zu können. Dies wurde bislang von den Instanzen in Delhi abgelehnt. Mit fadenscheiniger Begründung: das Projekt habe "nahezu alle Gesetze verletzt und sei wahrscheinlich nicht rentabel". Gleichzeitig wird leise am Prestigeprojekt weiter gebaut.

Die Konda müssen in ihrem Widerstand lange Wege gehen, um gehört zu werden. Eine Umsiedelung der indigenen Gruppen bedeutet faktisch ihr Verschwinden. Die Adressaten entziehen sich ihrer Verantwortung. Unterdessen bleibt Delhi einfach stumm.

 

Quellen

http://articles.timesofindia.indiatimes.com/2011-01-30/developmentalissues/28368029_1_environment-ministry-forest-rights-act-forest-advisory-committee

http://www.business-standard.com/india/news/trust-be-drowned/435493/

http://www.business-standard.com/india/news/ball-is-in-state-govts-court-saysramesh/433996/

http://www.downtoearth.org.in/content/why-polavaram-pointless-project

http://www.downtoearth.org.in/node/33444

http://www.downtoearth.org.in/node/1917

http://www.indiatogether.org/2006/sep/hrt-polavaram.htm#continue

http://www.socialwatchindia.net/news_page1.asp?newsid=5

http://www.tehelka.com/story_main46.asp?filename=Ne250910Political_Ecological.asp

 

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.