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12. Mai 2009. Kommentare: Indien - Wirtschaft & Soziales Indische Wahlimpressionen einer China-Korrespondentin

Laureen Liang, Journalistin von BBC World Service China, schildert ihre Eindrücke von der Reise mit dem "India Election Train".

Ein Bericht des India Election Train der BBC
Ein Bericht des India Election Train der BBC

Als ehemalige Bürgerin Chinas war ich hoch erfreut, mit auf den "BBC India Election Train" aufspringen zu können. Wie schafft es nur ein derart großes Volk, Wahlen ordnungsgemäß abzuhalten? Wie China ist auch Indien mehr als eine Nation – es ist ein komplexes Gebilde aus Menschen, Politik und Agenden. In Indien sind viele Länder vereint – ein geschichtlicher Drahtseilakt aus Einheit und Vielseitigkeit. Doch diese Herausforderung gehen Indien und China sehr unterschiedlich an.

Letzte Woche in Mumbai erzählten mir Menschen in einem der Slums, sie alle würden morgen zur Wahl gehen, in der Hoffnung, dass sich ihre Lebenssituation dadurch bald verbessern könnte. In allen Gemeinden, die ich bisher besucht habe, treffe ich immer wieder auf diesen fortwährenden Optimismus, ihr Leben könnte sich durch ihr politisches Mitspracherecht verbessern – egal wie aussichtslos es manchmal erscheint. Die Inder, mit denen ich gesprochen habe, sind zwar stolz auf ihre Demokratie, bleiben aber dennoch realistisch. Probleme wie Korruption, Armut und die Kluft zwischen Stadt und Land sind weiterhin ernst.

Der amtierenden Regierung wird vorgeworfen, keins ihrer Wahlversprechen eingelöst zu haben. Was mir besonders auffällt, sind nicht die politischen Unterschiede, sondern, dass Indien und China das gleiche wirtschaftliche Ziel verfolgen, wenn auch in unterschiedlichem Tempo. Indien wirkt fast wie das China der 1970er Jahre, als Deng Xiaoping das Modell der Sonderwirtschaftszone einführte. In Hyderabad erinnern mich die vielen Baustellen entlang der Straßen und die grellen Neonlichter im neu geschaffenen Viertel an Shenzhen – ein Gebiet, das innerhalb einer Generation vom Fischerdorf zur Werkstatt der Welt emporstieg. In Hyderabad gab der ehemalige Chief Minister von Andhra Pradesh, N. Chandrababu Naidu, zu, China würde sich wirtschaftlich schneller weiterentwickeln als Indien. Leicht ironisch fügte er hinzu, Chinas Gesetzgeber würden schließlich nicht behindert durch demokratische Verantwortung. Wer in Indien hingegen die Wähler gegen sich aufbringt, zieht bei den nächsten Wahlen möglicherweise den Kürzeren. Nicht nur das, als Partei müsse man auch vor den starken, unabhängigen Medien Rechenschaft ablegen. Chinas politischer Wille kennt solchen Bremsen nicht. Während es in China keine freien Wahlen gibt, müssen indische Politiker ihre Entscheidungen vorsichtig abwägen, denn jeder falsche Schachzug könnte zum Verlust von Wählern führen.

Es ist also offensichtlich, warum Inder auf ihre kolossale Demokratie stolz sind. Verglichen mit China erzeugt die Pressefreiheit einen Strudel von Ideen, Angriffen und Debatten; Landarbeiter dürfen in jede beliebige Stadt ziehen. Diese scheinbar einfachen Tatsachen repräsentieren eine Bürgerfreiheit, die den Chinesen noch weitestgehend fremd ist. Natürlich leiden die Slum-Bewohner der indischen Großstädte an der schlechten Bezahlung und ärmlichen Lebensverhältnissen, doch die Regierung schickt sie nicht gleich nach Hause, nur weil sie keine Arbeit gefunden haben. All das finde ich bewundernswert. Nur eins noch: Neulich hielten wir an einem Bahnhof nahe dem Marinestützpunkt in Vishakapatnam. Dort sprach ich mit einem Elektroingenieur, der meinte, dies wären die saubersten und gerechtesten Wahlen in der Geschichte Indiens. Und dann sagte er noch, Indien sollte Chinas Modell einer effizienten Wirtschaftsreform übernehmen. Indien mag wohl China nacheifern – doch für jedes Ziel gibt es mehr als nur einen Weg.

Quelle: www.bbc.com/india

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