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21. August 2010. Interviews: Südasien - Politik & Recht Vier Fragen an Jakob Rösel

Herr Professor Rösel, im Laufe Ihrer akademischen Karriere haben Sie sich intensiv mit Südasien beschäftigt - u.a. mit einer Arbeit zu Indien promoviert und über Entwicklungen in Sri Lanka habilitiert. Wie wurde Ihr Interesse an dieser Region geweckt, worin besteht der besondere Reiz des Subkontinents für Sie?

Zunächst entfaltete die Region den Reiz des Exotischen: Nach meinem Abitur war ich 1967 auf dem Landweg nach Indien gefahren und hatte versucht, in einer Provinzuniversität in Baroda Sanskrit zu lernen. Ich war höchst erstaunt, dass die Inder weniger Sanskrit als eine Vielfalt von Regionalsprachen sprachen. Nach meiner Rückkehr beschäftigte ich mich deshalb zunehmend mit der Soziologie und der politischen Entwicklung des Subkontinents. Ich verbrachte später ein Jahr in der Tempelstadt Puri/Orissa in einer Tempelherberge gegenüber dem Haupteingang des Jaganathtempels, den Nichthindus nicht betreten durften. Aus dieser demütigen Feldforschung ging meine Studie über das Tempel- und Pilgerzentrum Puri hervor. Nach einem Jahr am Committee of South Asian Studies der University of Chicago konzentrierte ich meine Studien auf die politische Entwicklung des Subkontinents. Seit 1987 führte ich mehrere Forschungsaufenthalte und eine Umfrageaktion auf Sri Lanka und in Tamil Nadu durch. Sie boten die Voraussetzung zu meiner Habilitationsarbeit zum ethnischen Bürgerkrieg auf Sri Lanka. Mein wissenschaftliches Interesse an Südasien ist sicherlich in der atemberaubenden Verbindung von kultureller, ethnischer und sozialer Vielfalt und Komplexität mit der schieren Größe und Ausdehnung der Bevölkerungen und Regionen des Subkontinents begründet. Indien konfrontiert uns nach wie vor mit einem nichteuropäischen Weg in die Moderne, der im Gegensatz zu vielen anderen nichteuropäischen Experimenten - etwa Chinas oder Japans - weit weniger zerstörerisch und gewalttätig war und ist. Dabei erscheint mir die Größe und Dauerhaftigkeit des indischen Demokratisierungsprozesses noch immer lehrreich: Wenn ein Sechstel der Erdbevölkerung mit Dutzenden von unterschiedlichen Sprachen und Regionalkulturen demokratisch organisiert werden kann, dann ist das demokratische Herrschaftsexperiment in ein neues Stadium und in eine neue Größenordnung übergegangen. Darüber können wir im Westen staunen und davon kann die übrige postkoloniale Welt nur lernen.

Jakob Rösel
Jakob Rösel Foto: privat

Wie bewerten Sie die Stellung Südasiens im gegenwärtigen globalen politischen Kontext? Welche Rolle wird die Region und insbesondere Indien - auch in Bezug auf seine Nachbarn - zukünftig spielen?

Chinas Bruch mit Moskau und am Ende die unter der Nixon-Regierung vollzogene politische Annäherung zwischen Peking und Washington differenzierten das bipolare Bild des Kalten Krieges. Indien hatte sich frühzeitig durch seine Politik der Blockfreiheit in eine Außenseiterstellung begeben und musste sich später mit dem indisch-sowjetischen Freundschaftspakt einen "partner of last ressort" sichern. Erst die zunehmenden strategischen Unüberschaubarkeiten nach dem Ende des Kalten Krieges scheinen gegenwärtig Indien zu einer neuen außenpolitischen Chance zu verhelfen. Angesichts der absehbaren Interessenkonflikte zwischen den USA und China kann aus der bislang verhinderten Großmacht eventuell ein strategischer Partner der USA werden. Dabei wird Indien allerdings seine Eigenständigkeit nie ernsthaft beschränken. Das zeigt sich schon daran, dass Neu Delhi ein Weltmodell der "sechs Brahmanen" favorisiert: die USA, die EU, Russland, China, Japan und Indien, alle diese - mit Ausnahme der EU - pazifischen Groß- und Regionalmächte sollen das internationale System in konsensualer Absprache "managen".

Trotz der zunehmenden globalen Bedeutung der Region halten sich deutsche Politiker und Unternehmen weitgehend zurück. Stattdessen ist China in aller Munde. Wie schätzen Sie die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zur Region Südasien ein und hat Deutschland hierin Nachholbedarf / Entwicklungspotenzial? Auf welche Bereiche/Projekte sollten ihrer Meinung nach deutsche Politiker und Unternehmen in ihren "Indienstrategien" zukünftig besonders abheben?

Ein amerikanischer Kollege fragte vor einigen Jahren seine Studenten, warum sie China im Gegensatz zu Indien ein so großes Interesse entgegenbrächten. Die Antwort: Wenn China morgen im Meer versinken würde, würden sie es merken - spätestens bei Walmart. Inzwischen scheint sich diese Auffassung zumindest in den USA zu wandeln - dank "India rising" und einer wortstarken indischen Diaspora. In Deutschland lässt dieser Wandel noch auf sich warten. Allerdings scheint sich auch in deutschen Unternehmerkreisen die Einsicht zu verbreiten, dass die Gewinnraten und die Bewegungsfreiheiten auf dem indischen Markt zwar geringer, dafür aber die Rechtssicherheit, die politische Stabilität und die Berechenbarkeit der langfristigen institutionellen Rahmenbedingungen weit höher sind. Politiker und Unternehmer deutscher und europäischer Provenienz sollten bei ihren "Indienstrategien" noch sehr viel stärker den technischen und wissenschaftlichen Austausch fördern. Während die USA für fast alle indischen Universitätsabsolventen das Weiterbildungsland ihrer Wahl geworden sind, finden immer weniger indische Studenten, Techniker und Wissenschaftler den Weg an europäische und vor allem deutsche Universitäten. Noch bemerkenswerter ist, dass bis auf Großbritannien bislang kein Land der EU auf diese bedrohliche Entwicklung reagiert hat.

Die Südasienwissenschaften in Deutschland sehen sich an verschiedenen Universitäten mit massiven Kürzungen konfrontiert, während gleichzeitig Bildungsministerin Schawan neu zu etablierende Zentren der modernen Indologie andenkt. Wohin steuern die Südasienwissenschaften in Deutschland Ihrer Meinung nach und wohin sollten sie steuern?

Die neue Devise "lieber klotzen statt kleckern" mag für Militärs taugen, für die Kulturwissenschaften und Asienwissenschaften aber galt bisher, dass nur eine Vielfalt der (regionalen) Standpunkte und der theoretischen Gesichtspunkte kreativen Austausch und wissenschaftlichen Fortschritt sicherte. Wenn nunmehr vollendet durchbürokratisierte, manchmal regierungsnahe Großinstitute begründet werden, so ist nicht zwingend sichergestellt, dass dabei die für den wissenschaftlichen Austausch notwendige Eigenständigkeit, kreative Distanz und wissenschaftliche Selbstbestimmung gewährleistet sind. Denn auf den geplanten Zentren wird der aktuelle, quantifizierende Evaluierungs-, Zertifizierungs- und Modularisierungsdruck besonders stark lasten.

Vielen Dank für dieses Interview.

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien-Experten Spezial: Jakob Rösel .

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