Inhalt

10. März 2012. Analysen: Kunst & Kultur - Weltweit Heimweh nach Indien?

Indische Medien in Vientiane, Laos

Indien gilt als der weltweit zweitgrößte Zeitungsmarkt und verzeichnet, anders als viele westliche Industriestaaten, jährlich positive Wachstumsraten. Durch Regionalisierung und Lokalisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung sowie die Anbindung neuer Medienformen wie dem Internet hat sich eine vielfältige und vitale Printmedienlandschaft herausgebildet, die weit über die Grenzen Indiens hinaus Leser anzieht.

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen gibt es weltweit 25 Millionen  sogenannte "Global Indians" (auch Non Resident Indians), die, wenn auch hauptsächlich in Asien, auf dem ganzen Globus verstreut leben. 1 Diese potentiellen Konsumenten indischer Medien werden nicht nur von Bollywood als Wachstumsmarkt bedient, sondern auch von indischen Printmedien wahrgenommen.

Der südostasiatische Staat Laos hat mit einer indischen Gemeinde von geschätzten 120 Mitgliedern 2 einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtheit der "Global Indians". Wenn sich auch der kulturelle Austausch zwischen Indien und Laos auf das dritte Jahrhundert v.Chr. zurückdatieren lässt, so haben sich die in Laos lebenden InderInnen doch erst zum Ende des 20. Jahrhunderts, mit der Öffnung des kommunistisch regierten Landes, hier niederlassen können. Diese somit noch junge und überschaubare indische Gemeinde ist zu ihrem Großteil in der Hauptstadt Vientiane angesiedelt, was sie in die Lage versetzt, von ihren Netzwerken ins nahegelegene Thailand zu profitieren, das eine wesentlich größere indische Gemeinde besitzt.

Trotz der geringen Größe der indischen Gemeinde in Laos lassen sich auch hier indische Printmedien auffinden. Doch wie gelangen diese nach Vientiane? Von wem werden sie gelesen und vor allem wie beeinflussen sie das Leben der AuslandsinderInnen?

Indien auf 55 m2 Ladenfläche

Der 50-jährige Somchan Miranda aus Bombay lebt seit 21 Jahren mit seiner Frau Lalitha in Vientiane und versucht sich durch die tägliche Lektüre unterschiedlicher Zeitungen und Magazine aus Indien auf dem Laufenden zu halten. Sie betreiben einen bekannten und gut frequentierten indischen Gewürzladen mit einem Restaurant im zweiten Stockwerk. Wie ihr Mann kommt auch Lalitha nicht ohne die Nachrichten aus der Heimat aus: "Ich möchte teilhaben an dem was in meinem Heimatland oder gar meinem Geburtsort passiert.", so die 48-jährige Geschäftsfrau aus Goa. 3 Beide bekommen über Thailand zweimal pro Monat ihre zehn Favoriten der indischen Presse geliefert. Zusätzlich belesen sie sich auf online Nachrichtenplattformen, "um den Gesamtüberblick zu erhalten".

Somchan und Lalitha scheinen zufrieden in Laos zu sein. Immerhin haben sie ihre indische Staatbürgerschaft aufgegeben, sowie ihre indischen Namen gegen laotische eingetauscht und damit ihr Leben grundlegend verändert. Nichts desto trotz scheint ihnen die Verbindung zu Indien so viel Wert zu sein, dass "…bei jedem Heimatbesuch Koffer mit Zeitungen gefüllt werden, die in Laos schwer oder gar nicht zu haben sind. 4 Das Ehepaar versucht in ihrem Laden "Mumbai Masala" diese Leidenschaft mit anderen Mitgliedern der indischen Gemeinde zu teilen, indem sie ihre Zeitungen, Magazine wie auch ihre reichhaltige Bollywood Filmsammlung gegen ein geringes Entgelt ausleihen.

Über 90 Prozent der indischen Auswanderer in Laos leben in der Hauptstadt Vientiane. 5 Interviews bestätigen die Annahme, dass ein Großteil familiäre Beziehungen zu der wesentlich größeren indischen Gemeinde nach Bangkok pflegt. Die Nähe Vientianes zu Thailand sowie die gut ausgebauten Transportwege zwischen Bangkok und Vientiane werden nicht nur zum Handel genutzt, sondern stellen ebenso den Transportweg für Nachrichten aus Indien dar. Die indische Gemeinde Vientianes besteht hauptsächlich aus tamilischen Händlern sowie einigen Botschaftsangestellten und Geschäftsleuten aus den hindisprachigen Regionen Indiens. Aufgrund der geringen Anzahl von InderInnen in Laos ist der Vertrieb von indischen Medien kein Profitgeschäft. Jedoch wird das Interesse an Politik-, Wirtschafts-, Sport- und Boulevardnachrichten gerne geteilt und dementsprechend wird das Angebot im "Mumbai Masala" geschätzt.

MitarbeiterInnen der indischen Botschaft zu Vientiane kennen den Laden und besuchen ihn wöchentlich, um sich dort mit allem einzudecken, was Leib und Seele brauchen; egal ob es sich dabei nur um eine hausgemachte Spezialität indischer Kochkunst handelt oder um die India Today. "Somchan bietet uns die Möglichkeit uns über Aktuelles in der Heimat zu informieren" , berichtet ein Botschaftsangehöriger, der in dem überschaubaren Laden in den zumeist englischsprachigen Zeitungen blättert. 6 Auch viele Tamilen besuchen "Mumbai Masala". Obwohl das Zeitungs- und Filmangebot nur aus englisch- und hindisprachigen Produkten besteht, sind sie froh, in diesem Laden ein Stück Indien wiederzufinden.

Einmal im Monat treffen sich Somchan und andere InderInnen aus Vientiane, um in gelassener Atmosphäre die Neuigkeiten aus Indien zu diskutieren. Dabei, so Somchan, gehe es hauptsächlich um Politik und Sport, woraufhin Lalitha ergänzt, dass man sich bei den Frauen mehr bezüglich der Neuigkeiten aus Bollywood auszutauschen wisse.

Medienprodukte für "Global Indians"

In größeren indischen Gemeinden Südostasiens sind solche Treffen weitaus häufiger. Generell scheint der Wunsch nach Zugehörigkeit innerhalb der Gemeinde stark ausgeprägt, was zum Entstehen von speziell für die Gemeinde angepassten Medienprodukten führt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das in Thailand beliebte Lifestyle-Magazin "Masala Thailand – Hot Talk from Thailand’s Indian Community". Die Zeitschrift informiert Leser über indische Kulturereignisse in Thailand, das Leben der indischen Prominenten und Geschäftsleute in Bangkok und berichtet über Neuigkeiten aus Indien. Darin nimmt jedoch das Aufnahmeland oft viel mehr Platz ein als die Heimat. Solche eigens für die im Ausland lebenden InderInnen publizierten Medienprodukte werden von Medienschaffenden aus der Gemeinde selbst organisiert. Mittelpunkt des Geschehens sind hierbei zumeist die "Global Indians".

Für die indische Gemeinde in Laos jedoch ist ein solches Geschäftsmodell schwer vorstellbar. Wenn auch auf Anregung hin darüber nachgedacht wird einen Weblog für die Gemeinde zu verfassen, stellt die geringe Zahl von InderInnen in Vientiane doch ein erhebliches Problem für solche Bemühungen dar.

Der indische Botschafter in Laos, dessen Dissertation von der südostasiatischen Medienlandschaft handelt, interessiert sich persönlich dafür, dass indische Medien Einzug in Laos erhalten. In der indischen Botschaft liegen neben der Times of India auch zahlreiche Magazine aus, die bei ausländischen TouristInnen, StudentInnen und InvestorInnen Interesse wecken sollen. Sahiba Minhas, die zeitweise in Vientiane für die Vereinten Nationen arbeitete und inzwischen wieder in Delhi lebt, bezweifelt jedoch den Nutzen indischer Medien in Laos, die statt an den Adressaten vorzudringen zumeist in der Botschaft verstauben. "Im September 2010, zur Zeit des Besuches des indischen Präsidenten, bekam man in vielen Supermärkten in Vientiane Magazine wie India Today angeboten – die liegen heute immer noch ungelesen in den Regalen."[fussnote:3013:9:l:7]

Tatsächlich wurde in zwei befragten Supermärkten Vientianes in den letzten sieben Monaten nicht eine einzige Ausgabe der vorrätigen India Today gekauft. 8 Indische Printmedien scheinen sich somit fast ausschließlich im Kreise der indischen Gemeinde Vientianes zu verkaufen. Bollywoodfilme hingegen erfreuen sich in Vientiane einer breiten Beliebtheit unter Laoten, Thais und Europäern, sofern diese die meist notwendige, jedoch selten vorhandene, Untertitelung aufweisen. Stammkunden in den zahlreichen DVD-Läden Vientianes kommen oft aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und kaufen sich die neuesten Serien oder Filme aus Bollywood auch ohne Untertitel.

Heimweh nach Indien?

Ohne den Zugang, den ihnen indische Printmedien im Ausland bieten, würden Somchan und seine Frau ein unvollständiges Leben führen. Beide wollen bestens informiert sein, was die Heimat angeht und aktiv daran teilhaben; auch wenn es nicht immer einfach sein mag, die Distanz zu überbrücken. "Wenn wir etwas lesen, dass uns persönlich angeht, so rufen wir Bekannte oder Familie in Indien an, um uns mit ihnen auszutauschen oder sprechen mit ihnen bei der nächsten Heimatreise über die Geschehnisse."[fussnote:3013:9:l:9] Die Zeitung am Morgen vor der Arbeit in der Hand zu haben, erklärt Somchan, sei für ihn unverzichtbar und er vermittelt dabei nicht den geringsten Eindruck, den Nachrichten aus seiner Heimat fern zu sein.

Auch der nordindische Geschäftsmann und Vorsitzende der indischen Handelskammer in Laos, Habib Chowdhary, sieht das Zeitungslesen als eine Art Ritual. Im Interview berichtet er über das morgendliche Lesen der Zeitung. Tee, Frühstück und Zeitungslektüre als perfekte Kombination für den Start in den Tag bilde die Basis für den täglichen Weg zu Wissen und Erfolg, so Chowdhary. 10 Trotzdem spielen die wesentlich aktuelleren und leicht zugänglichen Nachrichten von diversen Internetplattformen eine große Rolle für den Geschäftsmann, wobei auffällt, dass er auf dieselben Zeitungen und Magazine online zurückgreift, die er in gedruckter Form bereits liest. Geschehnisse aus der Heimat sind für Chowdhary von persönlichem Interesse. Sie können unterhaltsam oder hilfreich sein. Wenn aber zum Beispiel ein neues Handelsabkommen zwischen den ASEAN Staaten und Indien vereinbart wird, interessiert sich Habib Chowdhary nicht nur für indische Medienberichte, sondern zieht ebenso lokale südostasiatische als auch globale Einschätzungen heran.

Wenn auch die indische Gemeinde Vientianes durch ihre geringe Größe nicht als Paradebeispiel für die Untersuchung des Konzeptes der "Global Indians" herhalten kann, so macht dieses Beispiel doch deutlich, dass die "Global Indians" keine homogene Masse sind. Es wäre falsch, den Einfluss der Herkunft auf die multiplen und heterogenen Identitäten von InderInnen im Ausland zu leugnen. Es muss aber ebenso das identitätsstiftende Aufnahmeland untersucht werden. Sicherlich macht der Einfluss indischer Printmedien nicht vor nationalstaatlichen Grenzen halt und prägt auch im Ausland ein Gemeinschaftsgefühl. Dieses bietet indischen Emigranten eine gemeinsame Identität und lässt die Heimat nah erscheinen.

Um jedoch ein Verständnis von indischen Gemeinden außerhalb Indiens erlangen zu können, muss eine Analyse der zu untersuchenden Vorgänge global und zweifach lokal, sprich im Aufnahmeland und in der Heimat, ausgerichtet werden. 11 Konkret auf indische Printmedien in Vientiane bezogen heißt das, nicht nur deren Präsenz als Beweis für das Zugehörigkeitsgefühl der Emigranten zu Indien zu verstehen, sondern auch Diskussionen oder gar Medienprodukten, die Vorort entstehen, ihren Wert beizumessen.

Ein Medienereignis aus Indien, die darüber global erhältlichen Berichte und die LeserInnen im Ausland stellen die drei wichtigsten Ebenen dar, die zur Untersuchung indischer Printmedien im Ausland eine Rolle spielen. Am Beispiel Vientianes kann man schlussfolgern, dass Heimweh somit nur einer von vielen Gründen ist, die Mitglieder der indischen Gemeinde im Ausland zur Lektüre von, Printmedien aus Indien anzuregen. Vielmehr ist der Austausch und die damit zusammenhängende eigene Meinungsbildung ein Anreiz sich in diesen Medien zu informieren.

Dieser Austausch innerhalb der indischen Gemeinde in Laos kann dabei zu Meinungen und Vorstellungen führen, die sich von anderen indischen Gemeinden und Individuen auf der Welt deutlich unterscheiden. Diese Verschiedenheit lässt sich mit einem groben Feldbegriff wie dem des "Global Indian" nur unzureichend beschreiben. InderInnen in Vientiane konsumieren keine indischen Medien, weil sie sich der indischen Nation nähern wollen, sondern weil sie sich ihrer spezifischen Heimat, Kultur, Sprache, Politik etc. verbunden fühlen und diese mit ihren neuen Lebensumständen verbinden wollen.

 

Fußnoten

[ 1 ] Wikipedia: Non-resident Indian and Person of Indian Origin. (Stand: 15.03.2011).

[ 2 ] Informationen zur indischen Gemeinde auf der Webseite der Indischen Botschaft in Laos. (Stand: 15.03.2011).

[ 3 ] Miranda. Interview vom 12.03.20011.

[ 4 ] Miranda. Interview vom 12.03.20011.

[ 5 ] Informationen zur indischen Gemeinde auf der Webseite der Indischen Botschaft in Laos. (Stand: 15.03.2011).

[ 6 ] Negi. Interview vom 14.03.2011.

[ 7 ] Minhas. Interview vom 02.03.2011.

[ 8 ] Befragung vom 10.03.2011 im Phimphone und Simueang Supermarkt.

[ 9 ] Miranda. Interview vom 12.03.20011.

[ 10 ] Chowdhary. Interview vom 16.03.2011.

[ 11 ] Vgl. "Triadische Beziehung" nach Sheffer (1986: 1-15).

 

Quellen

Interviews in Vientane, Laos, mit Habib Chowdhary, Harsh Negi, Somchan und Lalitha Miranda; Interview mit Sahiba Minhas via Internet-Telefon sowie Befragung in den Supermärkten Phimophone und Simueang. Alle im März 2011 durchgeführt und übersetzt von Max Priebe.

Sheffer, Gabriel (1986). A new field of study: modern diasporas in international politics. Modern Diasporas in International Politics. London: Croom Helm.

Informationen zur indischen Gemeinde auf der Webseite der Indischen Botschaft in Laos. (Stand: 15.03.2011).

 

 

 

Dieser Essay entstand im Seminar "Regionalisierung & Lokalisierung von Printmedien - Die indische Zeitungsrevolution" am Querschnittsbereich Medialität und Intermedialität in den Gesellschaften Asiens und Afrikas der HU Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider.

 

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.