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24. August 2010. Analysen: Bangladesch - Wirtschaft & Soziales Suche nach Sündenböcken

Seit Monaten demonstrieren Textilarbeiter in Bangladesch für Löhne, von denen sie leben können. Eine Erhöhung vor wenigen Tagen trägt der Preisentwicklung im Lande kaum Rechnung – die Regierung setzt aber lieber auf die Einschüchterung von Aktivisten, um die Proteste zu beenden.

Am Ende musste es wohl so kommen: In der Nacht auf Freitag holte die Kriminalpolizei Kalpona Akhter abe. Der Grund: Die Leiterin des Zentrums für Arbeitersolidarität in Bangladesch (BCWS) soll in den vergangenen Wochen zusammen mit weiteren Aktivisten Textilarbeiter zu gewalttätigen Protesten aufgestachelt haben. Nach Informationen der Arbeiterrechtsorganisation International Labor Rights Forum (ILRF) sind sie in sechs Fällen angeklagt worden. Die Verhöre seien "schonungslos" ließ Akhter die Organisation wissen, aber sie werde "professionell" behandelt.

Kalpona Akhter ist ehemalige Textilarbeiterin. Mit zwölf Jahren fing sie an in einer der vielen Fabriken Bangladeschs zu arbeiten, und gründete vor knapp zehn Jahren das BCWS, das auch von internationalen Organisationen wie dem ILRF oder Human Rights Watch geschätzt wird.

Sie und ihre Kollegen sind nun keine Ausnahmen. Medien in Bangladesch berichten, dass bis zu 80 Arbeiterrechtsaktivisten und Gewerkschaftsfunktionäre zurzeit in Haft sind. Die "Kampagne für Saubere Kleidung" wertete die Festnahmen als "Strategie der Regierung von Bangladesch" um von den "wahren Hintergründen der Tumulte abzulenken: den unbeschreiblich schlechten Arbeitsbedingungen".

Tatsächlich haben in den vergangenen Monaten in Bangladesch heftige, zum Teil gewalttätige, Proteste stattgefunden. Seit Ende April demonstrieren die Textilarbeiter für eine Mindestlohnerhöhung von derzeit 1.700 Taka (20 Euro) monatlich auf rund 5.000 Taka (55 Euro). Damals blockierten Zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter die Schnellstraße von der Hauptstadt Dhaka zur Hafenstadt Chittagong, zwei Monate später stürmten sie hunderte Fabriken im Norden Dhakas und zwangen sie zur Schließung.

Schließlich verkündete die Regierung vor drei Wochen, den Mindestlohn auf nur 3.000 Taka (33 Euro) zu erhöhen. Dabei entsprach sie weitgehend den Vorschlägen der Arbeitgeber und tausende Arbeiter gingen erneut auf die Straße. In einer wohlhabenderen Gegend Dhakas demolierten sie Läden und zündeten Autos an. Die Polizei brauchte mehrere Stunden um die Ausschreitungen unter Kontrolle zu bekommen.
Die schweren Übergriffe haben zu einer verhärteten Haltung der Regierung geführt. Doch deren Engagement geht über ein bloßes Schaffen von Ordnung hinaus. Schon früh wurden die protestierenden Arbeiter als "Provokateure", "Saboteure" und sogar "Terroristen" diffamiert. Gerade Kalpona Akhter und das BCWS sind Sinnbild für staatliche Repressionen. Wenige Tage nachdem die Arbeiter im Juni die Fabriken zur Schließung gezwungen hatten, wurde die Lizenz des BCWS widerrufen und die Konten des Zentrums eingefroren. Ein Angestellter wurde von angeblichen Geheimdienstkräften entführt und gefoltert. In den folgenden Wochen sprachen auch andere Gewerkschaftsvertreter von Einschüchterungsversuchen und Morddrohungen.

Die Proteste in diesem Jahr sind die heftigsten seit einiger Zeit in der größten Exportindustrie Bangladeschs. Die Textilproduzenten erwirtschaften ungefähr 80 Prozent der Exporteinnahmen des Landes und beschäftigen etwa drei Millionen Menschen. Doch die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind wegen überlangen Arbeitszeiten, Gewalt und verhinderter Gewerkschaftsarbeit berüchtigt. Die Arbeiterinnen gehören weltweit zu den am schlechtesten bezahlten. Die Kleidung, die sie produzieren, landen dann häufig auch in deutschen Geschäften.

Erst vor zwei Wochen hatte beispielsweise der Textil-Discounter Kik "Fehler" eingeräumt, nachdem der NDR in einer Dokumentation vier Näherinnen in Bangladesch gezeigt hatte, die dort unter Menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Im April hatte außerdem die Verbraucherzentrale Hamburg die Discounter-Kette Lidl angeklagt, weil sie in ihrer Werbung faire Arbeitsbedingungen in Bangladesch versprach - diese aber nicht einhielt. Stattdessen mussten Näherinnen in drei Fabriken, die für Lidl produzierten, wöchentlich 70 bis 80 Stunden arbeiten, wurden zu Überstunden gezwungen und ihnen wurde der Zugang zu Toiletten verwehrt.

Doch die Arbeiterinnen sind nicht nur Opfer von miesen Arbeitsbedingungen - in vielen Fällen droht ihnen auch konkrete Lebensgefahr. So starben im Februar in einem Brand in einer Pullover-Fabrik, die für den Bekleidungskonzern H&M produzierte, 21 Menschen. Einen Monat lang untersuchte H&M den Brand und gab Ende März bekannt, eine Million Kronen (100.000 Euro) für Brandschutzmaßnahmen in ihren Fabriken in Bangladesch auszugeben. Kaum wurde die Botschaft bekannt, brannte es in derselben Fabrik erneut: Am 13. April wurden vier Arbeiter in den Flammen verletzt.

Dennoch geht es bei den Protesten in diesem Jahr nicht um diese, schon lange bekannten, schlechten Arbeitsbedingungen der bengalischen Textilarbeiter. Die Proteste sind deshalb so heftig, weil die Arbeiterinnen inzwischen um das nackte Überleben kämpfen. Nachdem Bangladesch in den vergangenen Jahren eine zeitweise doppelstellige Inflation durchmachte, hatten sich Mieten und Nahrungsmittelpreise im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt - der Kilopreis für Reis, dem Hauptnahrungsmittel, stieg von 24 Cent auf fast 50 Cent. Die Erhöhung der Arbeiterinnengehälter trägt dieser Entwicklung keine Rechnung.

Obwohl die Proteste sich noch in der ersten Augustwoche hielten, haben bereits mehrere Gewerkschaften die Mindestlohnerhöhung angenommen. Gegen Tausende Arbeiter wird wegen der Demonstrationen ermittelt, während Aktivisten wie Kalpona Akhter eingeschüchtert werden.

Inzwischen kommen auf die Arbeiter, die bereits die neuen Löhne angenommen haben, andere Probleme zu. Seit Beginn des Ramadans vergangene Woche sind die Preise für Nahrungsmittel erneut angestiegen. Im Fastenmonat gilt es als gesellschaftliche Pflicht mit besonderen Gerichten das Fasten zu brechen, was jedes Jahr zu Wucherpreisen auf dem Markt führt. Und der Bonus zum Fest Id-al-Fitr am Ende des Ramadans wird wohl auch an den alten, niedrigen Gehältern orientiert sein - denn die neuen Löhne gelten erst ab Herbst.

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