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21. August 2010. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Indien Indische Speiserituale und die Speise des Herrn der Welt (II)

II Die Speise des Herrn der Welt

Herr der Welt, Jagannath, wird seit dem 14. Jahrhundert zunehmend eine vishnuitische Regionalgottheit in (Delta) Orissa genannt. Auf die Entstehung, politische Aufwertung und zunehmende, überregionale Breitenwirksamkeit dieses Kultes kann an dieser Stelle nur in aller Kürze eingegangen werden. Sie waren Gegenstand eines ausgedehnten interdisziplinären Forschungsprojektes in den Jahren 1970-1976. Gegenwärtig sind der Jagannath-Kult, seine Auswirkungen auf das tribale Hinterland und generell Prozesse der Hinduisierung Gegenstand eines neuerlichen interdisziplinären Forschungsschwerpunktes. (A. Eschmann, H. Kulke, G. Tripathi 1978)

Der Gott der Könige

Um die Mitte des 12. Jahrhunderts war das Delta-Orissa, also das fruchtbare Schwemmlands- und Mündungsgebiet des "Großen Flusses", der "Mahanadi", unter die Kontrolle eines aus Südorissa stammenden Lokalherrschers gefallen. Dieser Herrscher namens Cholaganga entmachtete die Delta-Orissa bislang beherrschenden Somavamsha-Könige. Hatten die Somavamshas bislang ausschließlich eine shivaiitische Lokalgottheit, den Lingaraja, in ihrem Tempelzentrum Bhubaneshwar gefördert, so begann unter Cholaganga und den nunmehr "imperialen Gangas" jetzt der systematisch anmutende Aufbau und Ausbau eines weiteren Sakralzentrums und Regionalkultes. Am Meeresufer, an einem bereits bestehenden Wallfahrtsort, wurde, vermutlich bereits von Cholaganga, einer der größten Tempeltürme und Sanktuarien Indiens errichtet. Der Tempelturm erreichte 59 Meter, er überstieg damit den rund 100 Jahre zuvor von den Somavamshas errichteten Tempelturm des Lingaraja und er erreichte fast die Höhe des größten, von den Chola-Herrschern 1012 A.D. in Tanjore errichteten shivaitischen Brhadeshwara-Tempel. Der gewaltige, vermutlich an der Stelle eines früheren Tempels errichtete Bau war einer vishnuitischen Gottheit, dem Purushottama, gewidmet.

Erst seit dem 14. Jahrhundert setzte sich der Begriff Jagannath, Herr der Welt, weitgehend durch. Über die rituelle Ausstattung des Tempels, über die politische Funktion dieses ersten großen Vishnu-Kultes und über die Gestalt des Gottes selbst, lassen sich aber erst während der Herrschaft Anangabhimas III. (1211 A.D. bis 1239 A.D.) und Narasimhas I. (1239 A.D. bis 1264 A.D.) genauere Aussagen treffen. Nach einer - allerdings sehr späten Tempelchronik - soll Anangabhima für die tägliche Verehrung und Bewirtung des Gottes 36 Priestergruppen bereitgestellt haben. Aus diesen 36 Niyogas haben sich später 118 Sevas,"(Tempel)Dienste", ausdifferenziert. Entscheidend aber ist, dass Anangabhima seit 1230 in verschiedenen seiner Schriften Purushottama/Jagannath als den höchsten Herrscher des Reiches, sich selbst als Sohn und irdischen Stellvertreter des Gottes bezeichnete. Zum ersten Mal in der Geschichte der Region wurde einem Gott und darüber hinaus einer vishnuitischen Gottheit politische Herrschaft direkt zugeschrieben. Diese politische Funktion des Kultes wurde noch dadurch unterstrichen, dass Anangabhima an einem strategischen Flussübergang, auf einer Insel inmitten der Mahanadi, seine Palaststadt, das "Fort", "Katak" (Cuttack), errichtete und hier einen, dem Purushottama geweihten Palasttempel errichtete. Das politische und das sakrale Zentrum unterstanden also dem gleichen Gott.

Erst unter Anangabhimas Nachfolger, Narasimha, finden wir eine erste Darstellung dieser neuen Regionalgottheit. Narasimha errichtete, ungefähr 30 km von der "Stadt des Jagannath", Jagannath Puri, entfernt, wiederum am Meer, dem Sonnengott Surya einen monumentalen Tempel. Der Tempel erreichte vermutlich 68 Meter und war, bevor er in den folgenden Jahrhunderten einstürzte, der größte Indiens. An der Fassade dieses Tempel befand sich die erste Darstellung des Purushottama/Jagannath: der Gott wird als klobige, wenn auch stereotypierte, zierlich bemalte und konventionell bekleidete Holzfigur, also in seiner heutigen Gestalt, dargestellt. Damit ist sicher, dass zumindest seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts eine an die tribalen Pfahlgottheiten des Hinterlandes erinnernde, wenn auch vishnuitisch reinterpretierte und korrekt bekleidete Gottheit zum Staats- und Regionalgott erhoben worden war. Anangabhimas und Narasimhas Aufwertungs-, Ausstattungs- und Bauleistungen fielen in jenen Zeitraum, in dem die islamischen Erobererheere, nach dem Sieg von Tarain, 1192 A.D., ungehindert in Nordindien einfielen, die Hinduregionalreiche Nordindiens niederwarfen und deren Tempelzentren zerstörten.

Es ist nicht beweisbar, aber es erscheint sinnvoll, dass diese letzten großen Hinduregionalherrscher Nordindiens angesichts dieser Herausforderungen und Bedrohungen zu neuen Formen der religiösen Repräsentation, Demonstration und Legitimierung griffen. Das auf den Kult umPurushottama/Jagannath gestützte Regionalreich konnte sich aber auf Dauer nicht gegenüber den neuen Muslimherrschern behaupten. (H. Kulke 1979: S. 41-168) 1436 usurpierte ein Heerführer der Gangas, Kapilendra, die Macht und begründete die drei Generationen andauernde Suryavamsha-Dynastie. Die Inschriften Kapilendras zeigen, dass er nunmehr vorgab, auf Befehl des Jagannath Herrscher Orissas geworden zu sein, dass er Widerstand gegen seine Entscheidungen einer Rebellion gegen Jagannath gleichsetzt und dass er in einem Falle eine politische Entscheidung dem Jagannath zu Begutachtung vorlegt. Die Tempelchronik bestätigt und erweitert diese Auffassung der Macht des Gottes. Sie berichtet, wie Jagannath und sein Bruder auf einem schwarzen und einem weißen Pferd dem Sohne Kapilendras, Purushottama (1467 A.D. bis 1497 A.D.), während eines Kriegszuges vorausritten, um ihm in der Schlacht zu helfen. Die Tempelchronik spricht zugleich beiden Königen - unbeweisbar, aber auch kaum widerlegbar - Baumaßnahmen zu, die den Tempelbereich bis heute geprägt haben. So soll Kapilendra die äußere Umfassungsmauer, Purushottama die innere Umfassungsmauer und die letzte der drei Vorhallen, die Bhogamandapa, errichtet haben.

Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich auch eine Erweiterung des Jagannath-Kultes vollzogen: dem Jagannath sind nun zwei weitere unförmige, aber (im Gegensatz zum „schwarzen" Jagannath) gelbbemalte Holzfiguren zugeordnet. Sie gelten als Subhadra und Balabhadra, als Schwester und Bruder des Jagannath. (G. N. Dash 1978: 209-222) Die Exaltierung des Regional- und Staatsgottes verhindert allerdings nicht, dass in der Konsequenz weiterer Thronwirren, dann der Plünderungszüge der Afghanen Bengalens und schließlich der Ausdehnung und Konsolidierung des Mogulreiches die Regionaldynastie fällt und Orissa zumindest vordergründig dem Mogulreich eingegliedert wird. Diese Inkorporation trägt allerdings der Bedeutung des Jagannath Rechnung: die afghanischen Angreifer hatten, vermutlich um der Hindudynastie endgültig ihre sakrale Legitimitätsgrundlage zu entziehen, die, wie so oft versteckten, Figuren des Gottes aufgespürt, auf den Rücken von Elefanten gebunden und am Ufer des Ganges 1568 verbrannt. Damit setzte zunächst eine herrschafts- und gottlose Zeit ein. 20 Jahre später gelang es aber einem bislang bedeutungslosen Herrscher, gestützt auf das Fort Khurda in der Übergangszone zwischen Delta und Bergland, ein Lokalreich zu begründen und ihm eine religiöse Absicherung zu verschaffen: dieser "Raja von Khurda" ließ neue Holzfiguren der Götter erstellen. Sie verfügten über Macht und Authentizität, weil, der Legende nach, Aschereste der verbrannten Götter in die Figur des erneuerten Jagannath gelegt werden. Das Mogulreich, das seit 1590 die Region unterwarf, sah sich deshalb mit einem fait accompli konfrontiert.

Der Mogulherrscher Akbar beließ schließlich Jagannath Puri unter der rituellen und administrativen Kontrolle des neuen Khurda-Raja. Akbar stellte aber sicher, dass Puri vom Territorium des Kleinreiches getrennt blieb und er stationierte Beamte in der Tempelstadt. Zugleich beließ Akbar und sein Hindugeneral Man Singh dem Khurda-Raja die formale Vorherrschaft über eine große Zahl weitgehend eigenständiger kleiner Machthaber im undurchdringbaren Hügelbereich. Im Gegenzug und zur Sicherung imperialer Kontrolle wurde der Khurda-Raja als "Mansabdar" in die Dienstaristokratie des Mogulreiches aufgenommen: die Bereitschaft einer imperialen Macht, ein lokales Hindu-Fürstentum und einen zu regionaler Vorherrschaft befähigten Hindu-Gott an seiner Peripherie zu tolerieren und aufzuwerten, zeigt indirekt die Bedeutung, die der Jagannath inzwischen angenommen hat. (H. Kulke 1978: S. 321-342)

Dieser politische Stellenwert und diese wachsende Breitenwirkung einer lokalen, im Ursprung tribalen Gottheit ist wichtig für das Verständnis des seit der Mogulzeit entstehenden neuen Bewirtungsrituals. Während der ersten, der imperialen Phase des Jagannath-Kultes, war die Bewirtung des Gottes nur eine unter zahlreichen anderen konventionellen rituellen Dienstleistungen gewesen. Diese Bewirtung folgte Formen und Ritualen, wie sie in Hunderten von anderen vishnuitischen Schreinen durchgeführt werden. Sie erfolgte damit im Rahmen jener bereits angesprochenen "Respektverunreinigung". Die Entgegennahme und der Verzehr der Speisereste und nunmehr der "Gnade" des Gottes stellten zugleich sicher, dass diese vertikale (Respekt) Verunreinigung gegenüber dem Gott nicht einher ging mit einer horizontalen, also einer unbegrenzten Kommensalität mit vollständig Kastenfremden. Es war aber seit dem 17. und 18. Jahrhundert, vor allem aber seit dem 19. Jahrhundert, dass sich in Puri ein Speiseritual entwickelte, welches diese breite, soziale Verunreinigung nicht nur in Kauf nahm, sondern feierte und exaltierte - um dadurch die Größe und Macht des Gottes unter Beweis zu stellen. Die Jahrhunderte des Niedergangs der Hindudynastie, der zunehmenden Verwundbarkeit und zumindest einmal der Zerstörung des Gottes steigerten die Volkstümlichkeit des Jagannaths. Die Tempelzerstörungen der muslimischen Eroberer Nordindiens werteten Delta-Orissa und Jagannath Puri zu einer neuen Terra Sankta der Hindus auf. (G. N. Dash 1978: S. 359-374)

Die in Bengalen und Orissa ungeheuer einflussreiche, von Anfang an auf Puri ausgerichtete Bhaktibewegung Chaitanyas trug seit dem 16. Jahrhundert dazu bei, Jagannath mit Krishna gleichzusetzen und zugleich brachte sie ein Netzwerk von Klöstern, "Mathas", und Wegstationen nach Puri zum Entstehen. Unter dem langen 17. Jahrhundert der ungefährdeten Mogulherrschaft sicherte die Pax Moghulica Jagannath/Krishna nun immer mehr Förderer, Stifter und Pilger. (P. Mukherjee 1978: S. 309-319) Der entscheidende Aufschwung an regionaler, sozialer Tiefen- und überregionaler, geographischer Breitenwirksamkeit scheint aber im 18. Jahrhundert einzusetzen. Jagannath gilt jetzt den Oriyas und den Pilgern als "Patitapabana", "Retter der Gefallenen", und seine Speise gilt jetzt endgültig als "Mahaprasad", "große Gnade".

"Die große Gnade"

Die Zeiten, in denen Jagannath die politischen Ambitionen einer imperialen Dynastie absichern sollte, sind nun seit langem vorbei und unter der Herrschaft des Khurda-Rajas, der kalkulierten Duldung seitens der Mogulen und schließlich der vollständigen Kontrolle seitens der Mahratten, die 1751 die Macht über Orissa übernahmen, verwandelte sich der Tempel in einen Pilgerbetrieb, der für seine Herrscher, Verwalter und Priester ein Maximum an Pilgersteuern, Landstiftungen und Abgaben realisieren sollte. Zum entscheidenden Motiv der Pilgerfahrt, der Landstiftung und des daraus gewonnenen Ansehens wurde aber jetzt die Bewirtung des Gottes und der Verzehr seiner Speisereste, der Genuss von Mahaprasad. Volkstümliche Legenden zeigen nun, dass nicht wie beim Besuch konventioneller (Vishnu) Tempel das Betrachten (Darshan) des Gottes oder das Ziehen seines Götterwagens (Ratha Jattra) im Vordergrund stehen, sondern der Verzehr seiner Speise. Die Erlösungs- und Heilsqualitäten des Mahaprasad werden jetzt durch zahlreiche Legenden veranschaulicht. So soll einer der letzten Hindukönige Orissas von einer Lepra, "weiß wie der Schnee", befallen worden sein. Da ihm aufgrund seiner Sünden und Lepra der Tempeleintritt verwehrt war, so konnte er nur ein im Eingangstor des Tempels angebrachtes Gemälde des Jagannath, den "Patitapabana", verehren. Während er in Demut vor dem Bild verharrte, kam eine Hund vorbei gelaufen, der in seinem Maul eine Tonscherbe trug, an der noch ein Rest von Mahaprasad klebte, ein Speiserest zudem, den ein Pilger übrig gelassen hatte. Der König aß diesen Rest des Restes und wurde sofort von Lepra und Sünden erlöst.

Die Bedeutung der Speisereste zeigt sich jetzt auch in dem Brauch, "Nirmalya", getrocknete Reiskörner mit auf die Heimreise zu nehmen (heute solche Reiskörner vom Tempel zu ordern), dies, um sie Kranken zur Genesung oder Sterbenden für einen leichten Tod in den Mund zu legen. Die Bedeutung der großen Gnade zeigt sich des weiteren in einer später von den Kolonialbeamten mit Entsetzen konstatierten Tradition: zu Mahaprasad wird die Speise des Gottes nur, wenn sie ihm in seinem Tempel vorgelegt wird. Seit dem 17. Jahrhundert zieht aber das während des Sommers durchgeführte Wagenfest die meisten Pilger an. Für diese wird jetzt entscheidend, Puri zu erreichen, bevor der Gott auf seinem vielrädrigen Holzwagen für mehrere Wochen seinen Tempel verlässt. An den letztmöglichen Terminen, zu denen "Mahaprasad" gereicht wird, drängen sich riesige Menschenmengen durch das Tempeltor und immer wieder werden in diesem hysterischen Massenandrang Pilger zu Tode getreten. Die Erfolgreichen beginnen aber, dieses, ihr letztes, Mahaprasad zu rationieren und über die Gesamtdauer des Wagenfestes zu "strecken", bis sie nach 10 oder 14 Tagen nur noch eine vergorene und lebensgefährliche Bakterienbrühe verzehren und oft genug daran erkranken. (J. Rösel 1980: Einleitung)

Die Architektur, die Organisation und das Stiftungswesen des Tempels verdeutlichen seit dem 18. Jahrhundert gleichermaßen die Bedeutung des Mahaprasad. Im Südosten des quadratischen Tempelbezirks ist inzwischen eine gewaltige Tempelküche errichtet worden, in der an mehr als 100 Lehmherden und entsprechenden Kaminen, vor allem während der großen Festtage nicht nur gewaltige, sondern äußerst vielseitige Speisemengen gekocht werden. Diese Speisezubereitung bedarf einer besonderen Logistik: Das Tempelareal umfasst jetzt rund 130 sakrale Stätten (Tempel, Schreine, heilige Bäume) und rund 80, die der Versorgung und Bewirtung des Gottes dienen; mehr als 40 davon rechnen dem Küchenareal zu: 3 Brunnen, 5 Wasserreservoirs, 4 Gewürzhäuser, 22 Vorratskammern, 4 Zubereitungshäuser für Pans, Pasten, Currys, 4 Häuser zum Aufbewahren und Verkauf der (Götter)Speise.

Der gleiche Bedeutungszuwachs zeigt sich bei den Tempeldiensten. Instruktiv ist eine vom ersten Vertreter der East India Company in Puri, Groeme, bereits 1806 angefertigte Liste, die zwischen mehr als 200 Aufgaben unterscheidet. Ein hoher Anteil der Priester ist jetzt nicht mehr mit konventionellen Ritualaufgaben beschäftigt, sondern arbeitet in der Küche. Zu diesem Tätigkeitsbereich zählen die folgenden Spezialisten: "die Sojapastenträger; der Mäuse- und Kakerlakenfänger; der Katzenaufpasser; die Tontopf- und Wasserträger; die Quarkkuchenmacher; die Nektarköche der Erkältungsperiode (wenn die erkälteten Götter eine Spezialdiät erhalten); die Betelmacher; die Pastenköche; die Großköche; die Linienmaler (die mit Reismehl die Mandalas malen, auf die in der "Genusshalle" die Speisen gestellt werden); die Zuckerknödelköche; die Großtontopfvorbereiter; die Gemüseschneider; die Sojapastenvorbereiter; die Joghurtversorger; die Vorbereiter von "Krishnas Entzücken" (eine Süßspeise); die Geschirrspüler; die Verantwortlichen des Küchenwasserreservoirs; der für den Brunnen Verantwortliche, in dem die zerriebenen Wurzeln liegen; die (Herd)Feuer-verantwortlichen; die Brunnenseilmacher; die 20 (Holz)Kohlenmänner; die Bohnenzerreiber; die Reisverleser; die Registratoren des gepressten Reises; die Zuckerbäcker des "Krokodilfestes" (Makarasankranti); der Verantwortliche der Töpfer; der Reisdrescher; der (Holz)Kohlenbesorger; der Wasser in den Reis-Mischer; der Wasserzuflussverantwortliche; die Curry(Vor)Schmecker; die Gewürze für das Pan Besorgenden;, die Mörserstampfer; die für das Trocknen (des als "Nirmalya" verkauften Prasadreises) Zuständigen." (Nach C. Groeme 1806)

Viele dieser Funktionen "verdoppeln" sich, weil der jeweilige Herrscher (der Khurda-Raja, die Mahratten, dann unter der East India Company wiederum der erneut eingesetzte Khurda-Raja) im Küchenkomplex noch ein besonders Essen, den sogenannten "Palastgenuss", "Kothbhog", von weiteren Köchen herstellen lässt. Bei diesem Kothbhog handelt es sich im Kern um ein Relikt aus der frühen, der imperialen und noch exklusiven Bewirtungspraxis des Tempels. Das Kothbhog ist das ursprüngliche und konventionelle, das direkt vom König für den Gott bestimmte Prasad. Es wird im Sanktum, vor dem Gott, nicht wie das Massenprasad in einer eigens dafür geschaffenen "Genusshalle" aufgestellt. Früher wurde dieses Prasad dem König, hohen Würdenträgern und den Tempelbrahmanen zum Genuss, zum "Genuss im Palast", überlassen. Seit dem Aufstieg des Khurda-Raja und der Entwicklung eines Massenbetriebs bildet dieses Kothbhog dagegen ein gesondertes Speisekontingent, das zu teuren Preisen für den Gewinn des Khurda-Raja verkauft wird. Der Mengen- und Bedeutungszuwachs des Mahaprasad hat nicht nur den Bau einer Großküche und einer Bhogamandapa, einer "Genusshalle", notwendig gemacht, im nordöstlichen Bereich des Tempelareals ist vermutlich seit dem 18. Jahrhundert auch ein "Ananda Bazar", ein "Basar der unendlichen Freude", entstanden, ein inzwischen überdachter Platz, auf dem Dutzende einander fremder Pilgergruppen, in Begleitung ihres brahmanischen Pilgerführers das Mahaprasad gemeinsam verzehren.

Darüber hinaus wird Mahaprasad in die zahlreichen Klöster und Pilgerherbergen der Stadt geliefert und dort von den hier versammelten Pilgern gegessen. (K. C. Mishra 1971: S. 193-202) Aufwertung und Mengensteigerung des Mahaprasad haben also eine neue Bewirtungsorganisation und Speisenarchitektur im Tempelbezirk entstehen lassen. Vor allem aber beginnt der Wunsch Mahaprasad zu genießen und den Gott zu bewirten, die Wallfahrt nach Puri anzutreiben und auszuweiten und zugleich das Stiftungswesen zu verbreitern, zu "demokratisieren" und schließlich zu monetarisieren. (J. Rösel 1988: S. 69-85)

Das Pilgern zur großen Gnade

Bereits die Chaitanyabhakti und ihr Netzwerk an Klöstern, Mathas, in Puri, Delta Orissa und Bengalen hatten seit dem 16. Jahrhundert die Pilgerfahrt zum Jagannath/Krishna gefördert, auch deshalb, weil Chaitanya selbst im Jagannathtempel Tod und Erlösung gefunden haben soll. Eine nordindienweite "Pax Mogulica" rückt im 17. Jahrhundert Puri in die Reichweite zumindest wohlhabender oder aristokratischer Hindus, die in Nordindien selbst keine vergleichbaren monumentalen, unzerstörten und reichhaltig ausgestatteten Tempelzentren und "(Verdienst)Felder", "Kshetras", finden. In Orissa selbst gelingt es dem Khurda Raja, die Puriwallfahrt aufzuwerten und zu popularisieren. Vermutlich ihm ist es zu verdanken, dass der Begriff des "Dienstes" für den Gott jetzt systematisiert, gradualisiert und ausgeweitet wird. Die 36 Niyogas, Priestergruppen, haben sich inzwischen zu 118 spezialisierten Diensten, "Sevas", ausdifferenziert. Mehrere Tausend Priester, das Gros der Stadtbevölkerung, dienen als Sevakas dem Gott. Frühzeitig haben sich die Gangas und Suryavamshakönige als "Diener" des Jagannaths bezeichnet. Seit dem ausgehenden Mittelalter, eindeutig seit der Wiederherstellung der Figuren und des Kultes unter dem Khurda-Raja manifestierte sich dieser Dienst öffentlich, anschaulich und mehrdeutig:

Der König als erster Diener, Sevaka, des Herrn nimmt jetzt die "Gajapati ("Herr der Elefanten", ein Ehrentitel der Orissakönige) Maharaja Seva" wahr. Dieser Dienst verlangt im wesentlichen, dass der König beim Wagenfest den Weg zu den Götterwagen und die Wagen der Götter (symbolisch) "freifegt" und anschließend die Planken mit Sandelholzwasser besprengt. Der König übt also eine der niedrigsten Verrichtungen der Kastengesellschaft aus, er dient als "Sweeper". Zugleich gilt der König aber auch als "Chalanti Pratima", als "Ausgehfigur", als Wandelbild des Gottes. Seitdem der Khurda-Raja, im Schatten der Mogulsouzeränität, seine Kontrolle über den Tempel und sein Lokalreich gefestigt hat versucht er auch, seine Autorität gegenüber den von den Briten "Hill Rajas" genannten Potentaten des Hinterlandes auszuweiten. Diese zumeist prekär hinduisierten, über Kastenhindus wie Stammesgruppen herrschenden Kleinkönige bringt der Khurda Raja in ein rituelles Abhängigkeitsverhältnis, indem er diesen Machthabern seinerseits "Sevas", Dienste, im Kern Privilegien, im Tempel zuerkennt.

Je nach Status und Gefügigkeit dürfen diese Machthaber während ihrer Pilgerreise im Sanktum dem Jagannath zufächern oder ihm andere Ehrendienste erweisen. Zugleich setzt sich in dieser Zeit die Vorstellung durch, dass auch der einfache Pilger ein Diener des Jagannath ist. Er hat die Pflicht und das Privileg, während des Wagenfestes die Götterwagen mithilfe langer Seile aus der Stadt in einen Außentempel zu ziehen. Da niedere Kasten, die Fischer und die Stammesgruppen den Tempel nicht betreten können, so können sie nur während des Wagenfestes die drei Gottheiten sehen und, sofern sie rechtzeitig angekommen, Mahaprasad genießen. Jeder Pilger, vor allem die Gesamtheit der Bevölkerung Orissas ist damit aufgerufen, dem Gott zu dienen. Religiöse Untertänigkeit zeigt sich im Idiom der sozialen, im Idiom der dörflichen Kasten- und "Jajmani"-Verhältnisse, bei denen die Handwerker, die der dominanten Bauernkaste dienen, von dieser Nahrung erhalten. (H. Kulke 1979: S. 169-179) Diese seit dem 17. Jahrhundert erweiterte Dienstauffassung macht das Wagenfest zum entscheidenden Anlass der Puriwallfahrt. Nicht nur Kleinkönige und Höflinge, Aristokraten und Magnaten, sondern "all sorts and conditions of men" beginnen jetzt nach Puri zu pilgern. Seit dem 17. Jahrhundert werden also immer mehr und zunehmend einfachere Menschen über weite Distanzen vom Jagannath angezogen. Seit dem 18. Jahrhundert, vor allem seit dem die Mahratten den Khurda-Raja entmachten, die direkte Kontrolle über den Tempel- und Pilgerbetrieb übernehmen und systematisch Pilgerzölle eintreiben, entstehen aufgrund wachsender Pilgermengen und Wallfahrtsdistanzen neue Formen der Pilgerorganisation. (B. C. Ray 1960: S. 127-148) Ihren Höhepunkt erreicht allerdings diese neue Wallfahrtsorganisation erst während des 19. Jahrhunderts, unter und dank der britischen Kolonialherrschaft.

Bereits während der Mahrattenzeit (1751 - 1803) wird es üblich, dass die ursprünglich eigenständig, im Rahmen von Gruppenwanderungen, regelrechten Expeditionen oder fürstlichen Prozessionen, nach Puri gelangten Pilger vom Anfang bis zum Ende der Pilgerfahrt von Tempelpriestern geführt werden. Diese Wallfahrtsspezialisten brechen frühzeitig, lange vor dem Termin der großen Festtage, insbesondere des Wagenfestes, in jene Distrikte und Dörfer Orissas und Nordindiens auf, zu denen sie erste Kontakte geknüpft haben. In den ihnen bekannten Dörfern und Städten und bei den ihnen vertrauten Bauern und Händlerfamilien verteilen sie "Nirmalya", das getrocknete Mahaprasad, werben für eine Pilgerreise und geleiten schließlich eine Pilgergruppe nach Puri. Dort bringen sie diese Jagannathgläubigen in niederen, reisstrohgedeckten Hütten unter, geleiten sie durch den Tempel - und fordern anschließend ihren Lohn, das Geschenk, "Dakhina", in Form von Geld, Schmuck oder Land. Unter den Mahratten, die den Tempel als gewinnorientiertes Unternehmen führten, renitente Tempelpriester mit Stockschlägen bestraften und Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit dem Entzug des dem Priester zustehenden Mahaprasadanteils ahndeten, konnte sich diese Nebenerwerbstätigkeit noch nicht verselbständigen.

Erst mit dem Beginn und der Konsolidierung britischer Herrschaft, der Durchsetzung einer jetzt Indien weiten "Pax Britannica" und dem Ausbau der Eisenbahnlinien, also der Erreichbarkeit aller Regionen des Kontinents, werden jene Rahmenbedingungen geschaffen, die Puri zum größten gesamtindischen Wallfahrtszentrum und viele Tempelpriester zu vollberuflichen "Pilgerjägern" machen. Die East India Company hatte zunächst, in die Fußstapfen der Hinduherrscher und der Mahratten tretend, die direkte Verwaltung des Tempels vollständig übernommen. Unter Druck der Missionare und der britischen Öffentlichkeit zieht sie sich schließlich aus dem Tempelbetrieb zurück und setzt den Khurda Raja wiederum in seiner jetzt bereits traditionellen Funktion ein. Dieser kann sich aber gegen die inzwischen gewachsene Macht und die Gewinninteressen der auf Pilgerfang spezialisierten Tempelpriester kaum durchsetzen. (B. C. Ray 1960 B: S. 92-141) Hinzu kommt, dass die Rechts- und Wegesicherheit, seit 1860 der Indien weite Ausbau der Eisenbahn jetzt die Attraktivität einer Wallfahrt und die Zahl der Puripilger beständig steigern. Zu den Wagenfesten drängen sich jetzt oft mehr als 60.000 Menschen auf der Großen Straße, der "Bara Danda", vor dem Tempel. Sie müssen alle (Mahaprasad) verköstigt, in Lehmhütten oder im Freien untergebracht werden.

Aufgrund von Monsunüberschwemmungen, eingeschleppten Ansteckungskrankheiten oder verfaultem Mahaprasad brechen Seuchen aus, die die heimwärts ziehenden Pilger über alle Regionen Nordindiens verteilen. Puri wird zum kolonialen, zum bürokratischen und sanitären Problemfall. Ein Indiz für die seit der Jahrhundertmitte beschleunigte Zunahme der Pilgermengen ist der Tatbestand, dass die Bombay mit Calcutta über Orissa verbindende Eisenbahnlinie sich fast ausschließlich über die Puripilger finanziert. (D. B. Smith 1868) Die genannten Rahmenbedingungen und deren Konsequenz, ein säkularer Anstieg der Pilgermassen, setzen endgültig ein neues, ein buchhalterisches und fast bürokratisches Modell der Pilgerrekrutierung und Spendenerfassung durch. Die Pilgerjäger, die jetzt legendären Puripandas, haben sich nun zu Pilgerunternehmern gewandelt. Ihrem Tempeldienst gehen sie oder ihre Verwandten nur gelegentlich nach. Ihre symbolische Aufrechterhaltung der Seva dient vorrangig dazu, den Zugang zu Tempel und Küche, ihre Zugehörigkeit zur Priesterschaft und damit ihren Anteil am Mahaprasad zu sichern. Die großen Pandas errichten jetzt mehrstöckige Privathäuser und Pilgerherbergen. Sie beschäftigen Schreiber, Manager, Boten, Sänger und Leibwachen und nähern sich in ihrem höfischen Lebensstil den Großgrundbesitzern, den "Zamindaren".

Das ist nur folgerichtig, denn diesen Zamindaren sind sie wesensverwandt. Sie besitzen und verwalten nur anstelle von "Landed Estates", "Pilgrim Estates", ("Jattrizillas"). Über Jahrzehnte der Konkurrenz, Kooperation und schließlich des Austauschs haben sich die großen Pandafamilien das exklusive Recht der Pilgerrekrutierung über ganze Distrikte gesichert. Diese "Estates" und deren Bewohner, ehemalige und potentielle Pilger, verwalten und erfassen sie mit zwei Sets von Registern, den 24 Jahres- und den Dorfregistern. In den Jahresregistern werden Tag für Tag die aus dem betreffenden Distrikt oder Unterdistrikt nach Puri geleiteten Pilger erfasst: ihr Name, ihre Abstammung, ihr Rang oder ihre Kaste, ihre Spenden. Nach Ablauf eines Jahres werden diese Angaben in die entsprechenden Dorfregister übertragen. Der Pilgerunternehmer weiß deshalb genau, welche Familien eines Dorfes wann zu ihm nach Puri gepilgert sind und wie viel diese früheren Pilger, diese Vorfahren, ihm gespendet haben. Da jeder (nordindische) Hindu zumindest einmal im Leben nach Puri pilgern sollte, kann der Panda anhand der Dorfregister auch sein künftiges Pilger- und Spendenaufkommen in Grenzen einschätzen. Dem neu in Puri eingetroffenen Pilger zeigen die Dorfregister und die alten Jahresregister, dass er tatsächlich diesem Puripanda "gehört" und er ist aufgefordert, nicht weniger als seine Vorfahren zu spenden.

Da diese Pilger-Panda-Verhältnisse über mehrere Generationen bestanden, entstanden Vertrauensverhältnisse und die Puripilger erhielten, dank der Tiefenreichweite der Register, auch Hinweise auf die Genealogie und die dorfübergreifende Ausdehnung ihrer Großfamilien. Diese Register und damit das Rekrutierungsrecht bezüglich der entsprechenden Dörfer konnten an- und verkauft werden; Pilgerrekrutierungsgebiete ließen sich dadurch arrondieren; im Erbfalle ließen sich diese Gebiete auch aufteilen; sie bildeten und bilden einen Teil der Mitgift; in Grenzfällen konnten Hypotheken darauf erhoben werden. Die ständige Aktualisierung und das Kopieren der Register diente der Fernsteuerung und finanziellen Einschätzung dieser Estates. Mit Hilfe seiner Söhne, Manager (Marfaddare) und Boten hielt der Puripanda darüber hinaus den direkten Kontakt mit seinen Dörfern, seinen alten und neuen Pilgern. Schuldscheine, versprochene Geldsummen oder Pachten, alles Bestandteile der ausgehandelten Spenden, mussten vor Ort eingetrieben, neue Pilgerreisen organisiert werden. Nicht alle diese Details sollen uns an dieser Stelle interessieren. (J. Rösel 1983) Es gilt vielmehr jetzt herauszustellen, in welchem Maße der Wunsch, Mahaprasad zu essen und dem Gott Speise zur Verfügung zu stellen, dieses Pilgersystem hervorgebracht und geprägt hat. Wir sahen bereits, wie nach dem Ende der Ganga- und Suryavamsha-Dynastie der ehemalige Reichsgott anderen Aufgaben dient, neue Bedürfnisse erfüllt und infolge dessen anders gedeutet und wahrgenommen wird: einem Lokalkönig dient er zum Ausbau seiner Autorität gegenüber dem prekär hinduisierten Hinterland; der Genuss seiner Speise, nicht das konventionelle Ansehen, Darshan, wird zum vorrangigen Pilger- und Heilsziel und diese Aufwertung der Speise zeigt sich in einem Bild des Gottes, das ihn als "Retter der Gefallenen", als Patitapabana zeigt: denn er erlöst alle und vor allem die Armen durch seine Speise. Es ist der Wunsch nach Mahaprasad, ein Speisemotiv, das immer mehr und immer einfachere Menschen auf immer weiteren Wegen nach Puri und zum Wagenfest treibt.

Dieses Motiv zeigt sich auch frühzeitig bei der Organisation einer Pilgerreise durch die Pandas: sie verteilen Nirmalya, getrocknetes Mahaprasad. Wer davon isst, steht unter der Erwartung, dem Gott anschließend zu dienen und ihn zu beschenken - im Rahmen einer Pilgerfahrt. Das Motiv, Mahaprasad zu essen, also zu pilgern, führt mit der Zunahme des Pilgerns frühzeitig zu der Auffassung, die vornehmste Aufgabe des Pilgers bestünde darin, für die künftige Bewirtung des Gottes zu sorgen. Landstiftungen, deren Ertrag dazu bestimmt ist, ein bestimmtes Quantum an Speise für den Gott (und den anschließenden Verzehr durch die Pilger) bereitzustellen, rücken deshalb parallel zur Zunahme des Pilgerns in den Mittelpunkt des Stiftungsinteresses - auf Seiten des Khurda Raja und der Mahratten, der Puripandas und der Pilger.

Das Stiften der großen Gnade

Die Herrscher fördern diese Steigerung der Reichweite und der Größe des Landbesitzes ihres Tempels aus Gründen des Prestiges, aber auch wegen der sich aus der Verwaltung dieser Ländereien ergebenden neuen Patronage- und Stellenbesetzungschancen. Ihr vorrangiges Interesse richtet sich darauf, den Stiftungsbesitz auf den Gott, also die Tempelverwaltung und indirekt sich selbst zu zentralisieren. Die Pilgerpandas wollen, gegen diese Interessen der Tempelverwaltung, sicherstellen, dass sie selbst diese Landstiftungen als "Marfaddare", "Manager" des Jagannath, kontrollieren und ausschließlich nutzen können. Noch nicht unter den Mahratten, aber unter einem schwachen Khurda-Raja und gegenüber einer vorsichtigen Kolonialverwaltung können sie diese Kontrolle weitestgehend durchsetzen.

Im Ablauf des 19. Jahrhunderts akkumulieren sie deshalb innerhalb ihrer "Pilgrim Estates" auch beeindruckende "Landed Estates". (K. M. Patra 1971: S. 222-275) Pilgerbesitz und Landbesitz ergänzen und steigern sich wechselseitig. Die großen Pandas werden jetzt zu echten Zamindaren, vordergründig im Namen des Jagannaths, und sie steigern ihre Besuche und ihre bürokratische Präsenz in ihrem Pilger- und Landbesitz. Für die Pilger schließlich hat das Stiften von Land Vorrang vor allen anderen Schenkungsmöglichkeiten, weil nur das Landgeschenk den Wunsch, den Gott zu bewirten, umstandslos, anschaulich und genussreich realisiert. Wird Stiftungsland im Umkreis der Tempelstadt in den Besitz der Tempelverwaltung, hier seltener der Pandas, gegeben, so gilt die Vorstellung, dass mithilfe dieses Reises, dieses Gemüses oder dieser Betelblätter eine Speise, ein Curry oder ein Pan für den Gott hergestellt wird. Über den "Genuss" ("Bhoga") dieser Speise wird der Jagannath nun, da Stiftungsland nicht angetastet werden darf "solange Sonne und Mond bestehen" (so die Stiftungsformel) für immer verfügen. Jagannath genießt diese Speise im Namen des Stifters und aller seiner künftigen Nachfahren und wird, so der Glaube, ihnen mit Wohlwollen begegnen.

Diese Ländereien werden "Amrita Manohini", (Jagannath mit) "Nektar ernährend" genannt und sind (grund)steuerfrei. Die gleiche Vorstellung und Bezeichnung wird aber auch auf die Masse der seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr bei Puri gelegenen, sondern über ganz Orissa und Indien verstreuten Landstiftungen übertragen, auch wenn in diesem Fall nur nach Puri überwiesene Pachtsummen eine Speise im Namen des ursprünglichen Stifters (eventuell) finanzieren. Das während des 19. Jahrhunderts auf ganz Indien ausgeweitete Wallfahrtssystem wird somit von dem Konzept und Ideal des Mahaprasad, dem Wunsch, die Speise des Jagannaths zu essen, und ihm im Gegenzug Speise zu geben, angetrieben. Es wird davon geprägt und damit legitimiert. Anfang und Ende der Wallfahrt, der Pilgerwunsch, zu empfangen (Mahaprasad) und zu geben (Amrita Manohini) ergeben einen religiös, rituell und ökonomisch sinnfälligen Kreislauf für den Pilger und die Pandas - nicht aber für den Gott und seine Verwaltung: Ende des 19. Jahrhunderts konstatiert die hilflose Kolonialmacht, dass der Jagannath - auf dem (Schenkungs-)Papier - der größte Landbesitzer Indiens ist. (J. Rösel 1980: S. 98-175) Der Jagannath ist aber zugleich ein armer Gott. Die überwältigende Masse dieses Landbesitzes kontrollieren die Puripandas.

Die Tempelverwaltung hat keine Einsicht in diesen und keinen Zugang zu diesem Landbesitz. Der Tempel steht oft genug unter der Schwierigkeit, die Rituale und Feste des Jagannath angemessen finanzieren und organisieren zu können. Die Pandas dagegen sind nur selten bereit, ihre Pachteinnahmen zur Bereitstellung der entsprechenden Speisen einzusetzen. Pilgern die Kinder oder Enkel eines Landstifters nach Puri, so wird allerdings der Panda nicht versäumen, sie darauf hinzuweisen, dass das Mahaprasad, das er ihnen im Tempel besorgt, der Stiftung ihrer Vorfahren entstamme. Diesen Hinweis verbindet er mit der Ermahnung, diese Stiftung aus Ehrfurcht vor Jagannath und den Ahnen zu erweitern. Gegen Anfang des 20. Jahrhunderts bei jetzt rascher wachsender Bevölkerung und zunehmender Landknappheit drohte der seit einem Jahrhundert etablierte Kreislauf des Essens und Bewirtens, von Speise und Landstiftung aber an eine Grenze zu stoßen. In zunehmendem Maße waren jetzt die Bauern Indiens, also gerade jene Kasten, die inzwischen die Masse der Pilger stellten und das Wallfahrtssystem trugen, nicht mehr bereit, Land zu verschenken. Die Pandas und, mit weniger Erfolg, die Tempelverwaltung reagierten auf diese drohende Notlage mit dem Angebot einer Stiftungsalternative. Allen Speisen des Gottes, den billigen wie den teuren, ordneten sie jene Geldsumme zu, deren jährlicher Zinsertrag die Herstellung dieser Speise (pro Tag) finanzierte. Der Puripilger musste mithin nicht mehr knappes Land für immer verschenken, er musste dem Panda oder der Verwaltung nur einmal einen hohen Geldbetrag aushändigen und konnte sich dann in dem (falschen) Glauben wiegen, dass von nun an, aus den Zinserträgen finanziert, dem Gott täglich und in des Pilgers Namen die entsprechende Speise vorgelegt wird.

Das Überlassen dieser Geldsummen an die Pandas tritt seither an die Stelle der Landschenkungen; der neue Finanzierungsmodus rettet und verlängert das eingespielte Wallfahrtssystem und es gestattet den Puripandas darüber hinaus, neue, ärmere, landlose oder städtische Pilger(Kunden) zu gewinnen. Aber auch in dieser Variante und Anpassung bleibt das Wallfahrts- und Spendensystem nach wie vor der grundlegenden Idee und Verbindung des Essens und Bewirtens verpflichtet. In dieser Form hat sich das System im wesentlichen bis heute, also unter Bedingungen zunehmender Modernisierung und Demokratisierung erhalten. In sakraler, ritueller und traditioneller Form verdeutlicht das Wallfahrtssystem damit eine Überzeugung Gandhis: "Den Armen nähert sich der Gott in der Form der Speise."

Quellen

Literaturliste

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