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28. Dezember 2008. Analysen: Bangladesch - Politik & Recht Abriss von Baul-Skulpturen führt zu neuer Protestbewegung in Bangladesch

Nachdem am 15. Oktober 2008 aufgrund von Protesten zur Hälfte errichtete Baul-Skulpturen abgerissen wurden, entflammten landesweit Proteste in Bangladesch. Seit Jahren ist in dem südasiatischen Land zu beobachten, dass radikal-konservative muslimische Kräfte Künstler und Intellektuelle attackieren und in ihrer Ausdrucksfreiheit einschränken. Der aus gleichen Kreisen verlangte Abriss der Baul-Skulpturen hat das Fass für viele zum Überlaufen gebracht. Aus dem anfänglichen Unmut entsteht momentan eine Protestbewegung von jungen Künstlern und Studenten.

Wieder einmal haben sich bangladeschische Behörden dem Willen einer radikalen islamischen Gruppe gebeugt, und deren Forderung erfüllt. Die nur zur Hälfte fertig gestellte Darstellung von fünf Bauls[1], unter denen einige angeblich auch den Baul-Guru Lalon erkannten, von dem jedoch keine Abbildungen existieren, wurde vollständig abgerissen. Auch wenn unklar ist, wie viele Personen sich für den Abriss der Baul-Skulpturen aussprachen, scheinen die Proteste hiergegen und die Forderung für einen Wiederaufbau deutlich größer zu sein.

Dennoch stehen die Behörden - The Roads and Highways Department (RHD) und Civil Aviation Authority of Bangladesh (CAAB) - zu dem Abriss und möchten sich offensichtlich mit dem dafür verantwortlichen Murti Protirodh Committee (Komitee zur Verhinderung von Bildnissen/ Skulpturen) nicht anlegen. Angeführt wird dieses Komitee von Mufti Nur Hossain Nurani, der auch Vorsitzender des International Khatme Nabuwat Movement Bangladesh (IKNMB) ist, welche in den letzten Jahren vor allem durch Aktivitäten gegen Anhänger und Moscheen der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Nachdem die IKNMB durchsetzen konnten, dass die Schriften der Ahmadis und deren Verbreitung offiziell verboten wurden, verlangte sie zusätzlich im Jahr 2006, die Ahmadis zu Nicht-Muslimen zu erklären. Auch wenn ihnen dieser Hauptwunsch damals nicht erfüllt wurde, so können sie 2008 mit dem Abriss der Baul-Skulpturen wieder einen Teilerfolg feiern.

Die Forderung wurde vor allem mit dem Argument, dass sich die Skulpturen in Flughafennähe befinden und sie somit einen Anstoß für die Mekka-Pilger darstellten, begründet. Aus der vermeintlichen Rücksicht auf die Hajjis werden mittlerweile jedoch auch von anderen radikal-konservativen muslimischen Gruppen Rufe nach einem allgemeinen Bildnis-Verbot laut. In der Nacht zum 30. November 2008 kam es beispielsweise zu einem Angriff auf eine weitere Skulptur im Stadtteil Motijheel in Dhaka, die sechs Störche darstellt. Mit Hämmern wurde versucht, die Skulptur zu demolieren. Allerdings rechneten die Angreifer nicht mit den Stahlträgern unter der Betonschicht und der schnell eintreffenden Schar von Journalisten und Polizisten. Somit stehen die Störche noch immer an Ort und Stelle, aber der Angriff hat seine Wirkung in der Zivilgesellschaft[2] hinterlassen. Der Abriss der Baul-Skulpturen und der Angriff auf die Störche führten zu regen Diskussionen und Protesten, die das Problem des erstarkenden radikalen Islams in Bangladesch aufgreifen.

Die politische Islamisierung Bangladeschs

Der Abriss der Baul-Skulpturen ist lediglich ein weiterer trauriger Höhepunkt in der Geschichte des einst säkularen Staates seit der Unabhängigkeit im Jahr 1971. Schon wenige Jahre nach der Gründung Bangladeschs veränderte Präsident Ziaur Rahman während seiner vom Militär gestützten Amtszeit (1977-1981) die Verfassung so, dass der Islam aufgewertet wurde: Die Verpflichtung zum Säkularismus wurde durch den Satz "Absolutes Vertrauen und Glauben an den allmächtigen Allah sollen die Basis aller Handlungen sein." Ersetzt, und die gesamte Verfassung durch die Einleitung "Bismi'llahi 'r-rahmāni 'r-rahim" (im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers) ergänzt. Der Islam als Staatsreligion Bangladeschs wurde 1988 unter der Militärdiktatur Ershads in der Verfassung verankert.

Neben dieser politischen Islamisierung Bangladeschs, die auch von den ab 1991 demokratisch gewählten Regierungen nicht zurückgenommen wurde, gab es 1994 die erste große Hetzkampagne radikal-konservativer muslimischer Kräfte gegen eine Intellektuelle, die von staatlicher Seite unterstützt wurde.

Die Bedrohung der intellektuellen Ausdrucksfreiheit

Auch wenn die schriftstellerischen Leistungen Taslima Nasrins von bangladeschischen und internationalen Kritikern angezweifelt werden, so stellen das staatliche Verbot ihres vermeintlich islamkritischen Romans Lajja (Scham) im Jahr 1994 und die bis heute anhaltende Bedrohung ihres Lebens durch muslimische Extremisten den traurigen Auftakt der Einschränkung intellektueller Ausdrucksfreiheit in Bangladesch dar. Neben Bombenexplosionen in Kinohallen Ende 2002, dem Attentat auf den progressiven Schriftsteller und Hochschullehrer Humayun Azad 2004, den Bombenanschlägen auf Heiligenschreine in Sylhet im selben Jahr, Anschlägen beim Valentinstagsprogramm auf dem Campus der University of Dhaka 2005, dem Bann des traditionellen Jatra-Theaters in einigen Landesteilen und dem wiederholten Absagen von Konzerten der populären Sängerin Momtaz aufgrund von Morddrohungen, sind vor allem aber auch Journalisten und Politiker Mordopfer von muslimischen Extremisten geworden.

Zwar äußerten sich Akteure der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft immer wieder kritisch und besorgt zu den traurigen Ereignissen, jedoch fehlt es bis heute an einer aktiven gesellschaftsübergreifenden Bewegung, die diesen Tendenzen entgegentritt. Der Abriss der Baul-Skuplturen und die darauf folgenden Proteste lassen jedoch auf eine Wende hoffen.

Die Baul-Kultur als säkularer Identitätsstifter

Trotz der politischen Islamisierung, dem Anstieg von staatlichen und nicht-staatlichen Madrassas[3] in ländlichen Gegenden und den oben erwähnten Ereignissen träumt die säkulare Zivilgesellschaft in den Großstädten noch immer von den einfachen Bengalen, die im Herzen alle Bauls seien. Als großes Vorbild und intellektueller Führer gilt Lalon Shain, der im 19. Jahrhundert wirkte. In seinen mehreren hundert Liedern äußerte er sich immer wieder gegen religiöse Intoleranz und Kasten- und Klassenunterschiede (höre und siehe Liedbeispiel und Übersetzung). Seine Lieder sind bis heute weit verbreitet und werden immer wieder neu interpretiert. Vor allem Lalons Philosophie der religiösen Toleranz ist generationenübergreifend Bestandteil der Selbstidentität vieler bengalischer Intellektueller.

Gerade junge Musiker und Musikgruppen in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, sehen sich in dieser Tradition und vertonen die Lieder Lalons neu. Diese städtische Baul-Kultur, die meist mit bengalischem Nationalismus gepaart ist, hat jedoch nur wenig mit dem Überlebenskampf der wenigen "echten" so genannten Bauls in den ländlichen Gegenden zu tun. Zum einen weicht die religiöse Doktrin der verschiedenen meist mystisch-tantrischen Gruppen, die unter dem Begriff Bauls lediglich von außen zusammengefasst werden, von den Projektionen der städtischen Intellektuellen ab, zum anderen sind sie oft - wie paradoxerweise auch im indischen Teil Bengalens - Repressalien ansässiger radikal-konservativer muslimischer Kräfte ausgesetzt und können kaum noch ihren traditionellen Unterhalt mit dem Darbieten ihrer Lieder verdienen. Außerdem gibt es in Bangladesch immer wieder Versuche von staatlicher Seite, die so genannte Baul-Kultur zu islamisieren.

Während sich z.B. Lalon weder als Hindu noch Muslim bezeichnete, hängt über seinem Grab ein staatlich gesponserter Betonklotz mit Koran-Suren. Und obwohl ihn seine ländlichen Anhänger Lalon Shain nennen, wird er von staatlicher Seite grundsätzlich Lalon Shah genannt. Statt den mit dem Sanskritwort 'svāmin' (Herr/Meister) verbundenen Titel 'shain' trägt er nun offiziell einen persischen Sufi-Titel, der eher mit dem Islam assoziiert werden kann. Weiterhin wird in der oft - und nicht immer zu Recht - gepriesenen Enzyklopädie Bangladeschs, der Banglapedia, zum Ursprung des Wortes 'baul' die absurde Theorie, dass der Begriff auf den Namen einer persischen Sufi-Gemeinschaft namens 'Ba'al' zurückgeht, überbetont, obwohl von linguistischer Seite nur wenig Zweifel daran bestehen, dass der im Neuindoarischen bekannte Begriff 'baul' mit dem Altindoarischen 'vātula' (verrückt) verbunden ist.

Diese Islamisierungs- bzw. Sufisierungsversuche Lalons und der Baul-Kultur werden jedoch auch von säkularen und so genannten moderaten muslimischen Kräften angenommen, um sich vom radikalen Islam abzugrenzen und sich selbst in der Tradition des Sufismus zu sehen. Somit rief der Abriss der Baul-Skulpturen Empörungen bei verschiedenen Lagern hervor und stellt einen Angriff auf eine der letzten "heiligen" säkularen Identitätsfaktoren der bengalischen Intellektuellen dar.

Eine neue Zivilgesellschaft ist - vielleicht - erwacht

Während die Angriffe auf einzelne Intellektuelle, Künstler oder Politiker lediglich zu kurzen Aufschreien führten, da viele z.B. Taslima Nasrin als Schriftstellerin nicht schätzen, einige die populären Lieder von Momtaz lediglich als unbedeutende Trivialmusik empfinden oder man schlicht von einer anderen Partei ist, scheinen der Angriff auf die Baul-Kultur und die Skulpturen, die bis dato eher schlafenden Intellektuellen aufgeweckt zu haben. Seit dem 15. Oktober 2008 gibt es fast täglich Protestveranstaltungen von verschiedenen Gruppen, die entweder den Wiederaufbau der Baul-Skulpturen verlangen oder allgemeine Forderungen für Toleranz und Meinungsfreiheit stellen. Zu einer der aktivsten Gruppen zählt eine Bewegung von jungen Künstlern und Studenten der University of Dhaka, die seit dem 5. Dezember den Namen Banglar Sangskriti Andolon (Kulturbewegung Bengalens) trägt. Wurden anfänglich Konzerte mit "echten" Bauls und populären modernen Musikgruppen auf dem Campus organisiert, versuchen die jungen Aktivisten nun vor allem, sich mit Gleichgesinnten in anderen Städten zu vernetzen. Dafür reisen sie an andere Universitäten, um durch Konzerte, Theateraufführungen und Diskussionsrunden auf ihre Ziele aufmerksam zu machen. Bis jetzt stoßen sie besonders bei säkularen Studenten auf Interesse und Begeisterung, während radikal-konservative muslimische Kräfte schon Fatwas gegen einige Aktivisten ausgesprochen haben. Seit einer Theateraufführung in der Distrikthauptstadt Rajshahi muss sich eine Gruppe von jungen Schauspielern verstecken, weil ein Charakter in ihrem Stück den Namen Rasul Miah hatte. Rasul Miah ist auch eine Bezeichnung für den Propheten Muhammad, und durch diese Verwendung wird angeblich seinem Ansehen geschadet.

Dieser erneute Angriff auf die Ausdrucksfreiheit führt wiederum zu einer Politisierung der jungen Aktivisten. Noch ist nicht abzusehen, wohin und wie weit diese Bewegung führen wird. Während teilweise zwischen verschiedenen Lagern innerhalb der Bewegung Meinungsverschiedenheiten deutlich werden, und es noch an einer effektiven Struktur fehlt, ist es ein Lichtblick in dem sonst von Parteien und Nichtregierungsorganisationen dominierten Feld. Die wenigsten der Studenten und Künstler gehören Parteien oder Nichtregierungsorganisationen an, zu denen sie auch kein Vertrauen haben. In Bangladesch scheint eine neue Generation erwacht zu sein, die sich auf die herkömmlichen Strukturen nicht verlassen möchte und sich auch dementsprechend distanziert zu den alten Kräften der Zivilgesellschaft verhält, welche die Probleme in den letzten Jahrzehnten offensichtlich nicht bewältigen konnte.

Und auch wenn diese Protestbewegung von Studenten und Künstlern nur einen kleinen Teil der 150 Millionen starken Bevölkerung Bangladeschs darstellt, so darf man nicht vergessen, dass die University of Dhaka und die anderen Universitäten Ausgangspunkte für die größten Veränderungen im damaligen Ostpakistan bzw. Bangladesch darstellten. Die Sprachbewegung von 1952, die letztendlich die Grundsteine zum Unabhängigkeitskampf von 1971 legte, ging von Studenten der Universität Dhaka aus. Während der Kämpfe 1971 brachte die pakistanische Armee gezielt zahlreiche Universitätslehrer, Studenten, Intellektuelle und Künstler um, weil der aus diesen Kreisen befürchtete Widerstand gebrochen werden sollte. Und der Militärdiktator Ershad musste letztendlich aufgrund von Studenten organisierten Protesten und Krawallen Ende 1990 zurücktreten. Die meisten Aktivisten der gegenwärtigen Protestbewegung sehen sich selbst genau in dieser Tradition und teilen mit ihren Vorgängern, dass sie parteilos, säkular und bengalischnationalistisch sind und unabhängig von etablierten Kräften der Zivilgesellschaft agieren.

Anmerkungen

[1] Mit dem Begriff "Baul" werden Anhänger von einer nur in Bengalen vorhandenen religiösen Strömung bezeichnet. Der Terminus ist eine von der Mehrheitsbevölkerung benutzte Außenbezeichnung für die unterschiedlichen Gruppen, die meistens aufgrund der Anhängerschaft eines bestimmten Gurus (Meisters) eine Gemeinschaft bilden. Gemeinsamkeiten der verschiedenen Gruppen sind die Praxis von mystisch-"tantrischen" Ritualen, das Fehlen einer heiligen Schrift, die Toleranz und Offenheit gegenüber anderer Religionen, eine ausgeprägte Musikkultur, die sich vor allem auf von Gurus geschriebene mystische Lieder stützt, und die Philosophie des "moner manush", des Menschen bzw. Göttlichen im eigenen Innern. Auch wenn es Ähnlichkeiten zu Vaishnaismus und Sufismus (mystische Strömungen im Hinduismus und Islam) gibt, lehnen die meisten Gurus und ihre Anhänger ab, sich als Hindus oder Muslime zu bezeichnen. Die meisten so genannten Bauls kommen meist aus den sozialen Unterschichten und leben ein einfaches Leben. Sie können sesshaft und berufstätig sein, doch auch ihren Unterhalt vor allem durch die Darbietung von Liedern und Betteln verdienen, wodurch romantisierte Darstellungen von den weltlichen Dingen entsagenden Wandersängern entstanden sind, wie z.B. in Arbeiten von Rabindranath Tagore. Auch heute bieten ihr Lebensstil und ihre Philosophie Projektionsfläche für die Vorstellungen intellektuellen Städter aus gut situierten Kreisen.

[2] Der Begriff "Zivilgesellschaft" bezieht sich in diesem Artikel auf nicht der Regierung angehörige individuelle Akteure und Institutionen, die sich für die Verbesserung gesellschaftspolitischer Zustände engagieren.

[3] Während man in Deutschland sehr oft Madrassas mit Koranschulen gleichsetzt, werden mit diesem Begriff tatsächlich Bildungseinrichtungen bezeichnet, in denen auch Fächer wie Bengalisch, Mathematik, Erdkunde, Englisch usw. unterrichtet werden. Dennoch bildet der islamische Religionsunterricht einen Schwerpunkt, und Kinder mit einem nicht-muslimischen Hintergrund werden vom gesamten Unterricht ausgeschlossen. Säkulare Bildungseinrichtungen haben in Bangladesch eine lange Tradition und erfreuen sich großer Beliebtheit. Religiöse Bildungseinrichtungen, verstärkt durch Gelder aus arabischen Staaten finanziert, werden vor allem von Kindern aus armen Verhältnissen besucht, da neben dem Unterricht auch oft das Schulmaterial und Essen zur Verfügung gestellt werden.

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