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28. Januar 2008. Analysen: Politik & Recht - Weltweit Von Bandung bis Belgrad

Indien und Indonesien und die Blockfreien von 1955 bis heute

1961 war das erste Gipfeltreffen der Blockfreien und Indiens Premier Nehru sowie Indonesiens Präsident Sukarno waren Vorreiter der Bewegung. Doch wie sieht es heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und neuer globaler Herausforderungen und Kooperationen aus?

Im April 1955 trafen erstmals die Staatsoberhäupter 23 asiatischer und sechs afrikanischer Staaten in Bandung, Indonesien, zusammen, um über den weltpolitischen Einfluss jener Staaten zu diskutieren, die zuvor aus der Kolonialherrschaft entlassen worden waren. Diese sahen die dominante Stellung der USA und der ehemaligen Sowjetunion in den Vereinten Nationen als Bedrohung oder zumindest als Hindernis, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, und fürchteten hinter neu gegründeten Pakten eine erneute Abhängigkeit gegenüber den beiden Supermächten. Folglich sollte eine gemeinsame Grundlage zur Durchsetzung der Interessen derjenigen Staaten geschaffen werden, die zu keinem der beiden politischen Blöcke gezählt werden konnten beziehungsweise wollten.

Ausgangspunkt war hierbei die antikolonialistische Haltung aller an der Konferenz in Bandung vertretenen Staaten. Wichtige Punkte der Bandunger Schlusserklärung waren die Verurteilung von Rassendiskriminierung, die Unterstützung der Befreiungsbewegung von noch unter Kolonialherrschaft stehenden Ländern, die Forderung nach einem Verbot der Herstellung, Erprobung und Anwendung nuklearer Waffen, sowie die nach einer generellen Abrüstung. Des Weiteren wurde die unabhängige Stellung zwischen den beiden von den USA und den UdSSR dominierten Blöcken hervorgehoben. Ein zentrales Problem, das bereits bei dieser Konferenz auftrat, war die Frage der Legitimität, sowie nach militärischen Kooperationen mit den Supermächten. Hierbei sahen einige der zukünftigen Blockfreienmitgliedsstaaten, die zu einem der beiden Blöcke tendierten, keine Einschränkung ihrer eigenen Unabhängigkeit (zum Beispiel die Philippinen), wohingegen besonders Indiens Premierminister Jawaharlal Nehru, sowie Indonesiens Präsident Sukarno, beide Staatsoberhäupter blockungebundener Staaten, eine massive Einschränkung der Unabhängigkeit sowie Bedrohung des Weltfriedens in etwaigen militärischen Kooperationen mit den Großmächten sahen.

Bereits 1954 vereinbarten und der chinesische Premierminister Zhou Enlai bei einem Treffen in Neu-Delhi die "Fünf Prinzipien", die schließlich auch auf der Konferenz in Bandung angenommen wurden. Diese beinhalteten die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität, das Nichteinmischen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, die Gleichberechtigung und gegenseitige Unterstützung, die friedliche Koexistenz, sowie den Verzicht auf jegliche Angriffshandlungen. Trotz des Prinzips der friedlichen Koexistenz einigte man sich in Bandung auf "die Achtung vor dem Recht jeder Nation, sich allein oder kollektiv in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen zu verteidigen."

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre entstand auf Grund der verschiedenen Konflikte der einzelnen Staaten eine verstärkte trilaterale Zusammenarbeit zwischen Nehru (Indien), Nasser (Ägypten) und Tito (Jugoslawien), die die politische Ausrichtung der späteren Blockfreien-Bewegung maßgeblich beeinflussen sollte. Auch die Ansichten des Präsidenten Sukarno, der Gastgeber der Konferenz von 1955 gewesen war, waren bestimmend für die spätere Ausrichtung der Blockfreien. Die Konferenz von Belgrad 1961 markierte schließlich die Gründung der Blockfreien-Bewegung. Besonders Nehru versuchte in Belgrad, eine zu strikte Stellungnahme gegenüber den USA und der Sowjetunion zu vermeiden, da er die Blockfreien als nicht stark genug ansah, um den beiden Supermächten Vorschriften machen zu können. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde jedoch klar, dass die Meinung innerhalb der Blockfreien keinesfalls homogen war, sondern sich maßgeblich nach der jeweiligen Tendenz zu einem der beiden Blöcke richtete.

Indien und Indonesien in der Zeit nach Belgrad

Indiens Premierminister Nehru nahm eine gemäßigte Position innerhalb der Blockfreien ein. Seine politischen Positionen waren geprägt von moralischen Prämissen und dem Versuch, als Vermittler zwischen in Konflikt stehenden Staaten zu agieren und den Weltfrieden zu bewahren. So war für ihn entscheidend, eine Entspannung im Ost-West-Konflikt zu erreichen. Radikalere Stimmen in auf der Konferenz von Belgrad, darunter auch Indonesien, forderten indes, dass der Unabhängigkeitskampf und der Kampf gegen den Imperialismus an erster Stelle stehen sollten. Bezogen sich die Haltungen "gemäßigt" oder "radikal" anfangs noch auf unterschiedliche programmatische Ausrichtungen innerhalb der Blockfreien, so wurden die beiden Lager später als Einstellung zur Frage bezüglich der Distanz gegenüber der Sowjetunion verstanden.

Während sich Nehru seit der Erlangung der Unabhängigkeit die Demokratisierung Indiens auf die Fahne geschrieben hatte und sich selbst als Parlamentarier verstand, kehrte Sukarno zurück zu einem präsidialen System und führte eine "gelenkte Demokratie" in Indonesien ein. Die innenpolitischen Spannungen in Indonesien wuchsen nach 1959 bis zu seiner faktischen Entmachtung nach einem Putschversuch des linken politischen Lagers 1966 zwischen der Armee einerseits und den Kommunisten andererseits. Außenpolitisch fand eine zunehmende Radikalisierung unter Sukarnos diktatorischer Herrschaft statt, die sich maßgeblich gegen die Errichtung der Malaiischen Föderation richtete. Außerdem forderte er den Verzicht der Niederlande auf Westirian.

Nehru seinerseits sah in der Demokratie die einzige Möglichkeit, Indien zusammenhalten. Außerdem wollte er für das ganze Land sozialen Fortschritt. Seit Mitte der 1950er Jahre fand, trotz einer weitgehenden Enthaltung aus Konflikten des Kalten Krieges, eine Annäherung Indiens an die Sowjetunion statt (bereits 1956 stimmt Indien bei den Vereinten Nationen für eine sowjetische Invasion in Ungarn und verließ somit den Weg der "Neutralität"). Auf indonesischer Seite wuchs indes die antikommunistische Haltung Sukarnos und Kontakte zu Ländern des Ostblocks wurden, besonders nach 1965, eher sporadisch gepflegt.

Sukarno wählte in den Jahren nach 1955, wie bereits angesprochen, einen politischen Weg, der ihn von den in Bandung postulierten Zielen der Blockfreien abrücken ließ und auch seine anfängliche Führungsrolle innerhalb dieser in den Hintergrund rückte; nicht zuletzt weil die Position innerhalb des neutralen Blocks von ihm zwar propagiert, jedoch nicht bedingungslos angenommen wurde. Zusätzlich wurde Indonesien, auf Grund von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen zu Zeiten Sukarnos, Mitte der 1960er Jahre enorm abhängig von US-amerikanischen und japanischen Wirtschaftshilfen, die die Neutralität Indonesiens ebenfalls beeinträchtigten. Die Annexion Ost-Timors 1976 verstärkte zusätzlich die Entfremdung gegenüber den Idealen der Blockfreien, auch nach Sukarnos Zeit. Das außenpolitische Verhalten Sukarnos hatte zu einer Erschütterung des vorher freundschaftlichen Verhältnisses zu Indiens Premier Nehru geführt, und die Beziehungen zwischen den beiden Staaten blieben, auch in der post-Sukarno und Nehru Zeit, eher verhalten. Aber auch auf indischer Seite führten die durch Waffengewalt durchgesetzte Einnahme der portugiesischen Kolonie Goa und der 1962 entfachte Grenzkrieg mit China zu einer Entfremdung gegenüber den im Jahre 1955 festgelegten Zielen und Prinzipien der Blockfreien, in dem viele Mitgliedsländer bereits das Scheitern der Bewegung sahen. Dennoch standen die 1960er Jahre im Zeichen der Konsolidierung der politischen Unabhängigkeit der Bewegung, wobei diese, durch den Tod Nehrus 1964 einen starken Dämpfer erlitt. In den 1970er Jahren trat der Nord-Süd Konflikt und die wirtschaftliche Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industriestaaten in den Vordergrund. Diese inhaltliche Programmatik, sowie die der Friedenssicherung blieben auch in den 1980er Jahren aktuell.

Der Zusammenbruch des Ostblocks: Neuorientierung und innere Konfliktbeilegung

Erst durch den Zusammenbruch des Ostblocks wurde der Konflikt innerhalb der Blockfreien entschärft. So fand in der indonesischen Regierung eine ökonomische als auch politische Neuorientierung statt. Auch innerhalb der Blockfreien-Bewegung fand eine "Entideologisierung" statt, zum einen, weil die Auswirkungen der Globalisierung seit dem Ende der 1970er Jahre zunehmend in den Fokus der Bewegung rückten, zum anderen, weil man zu pragmatischeren Politiklinien angesichts der weltwirtschaftlichen und – politischen Entwicklungen nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion gelangen wollte. Diese Umstände führten schließlich dazu, dass Indonesien 1992 beim Blockfreien-Gipfeltreffen in Jakarta der lang ersehnte Vorsitz der Blockfreien übertragen wurde. Für Indien hatte der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion nicht nur den Zwang wirtschaftlicher Neuorientierung bedeutet, sondern ebenfalls eine grundlegende Veränderung seiner Außenpolitik, so beispielsweise die Annäherung an die USA (die bereits seit Mitte der 1980er Jahre stattfand) und die Integration Indiens in den Weltmarkt. Auch die Bedeutungslosigkeit der Blockfreien führte zu einem außenpolitischen Kurswechsel.

Neue Kooperationen in Südostasien

Die Region Südostasien gewann Anfang der 1990er Jahre sowohl in wirtschaftlicher, als auch politischer Hinsicht für Indien immer mehr an Bedeutung. Die Blockfreien als Bewegung verlor ihrerseits angesichts des Endes des Kalten Krieges an Bedeutung, auch wenn für die Zeit zwischen 1992 und 1995 von einem "Aufleben" dieser auf Grund von vermehrter Süd-Süd-Kooperation und einem gespaltenen Norden die Rede war. Konkrete Ergebnisse konnte die Bewegung in dieser Zeit kaum aufweisen. Dafür rückten andere Kooperationen sowohl für Indonesien, als auch für Indien in den Vordergrund. So wurde Indien schon Anfang der 1990er Jahre Beobachter der ASEAN und wurde hier 1996 Dialogpartner. Die Einsicht unter den ASEAN-Staaten, dass ein multilaterales Sicherheitsregime, welches einen Gegenpol zu China als aufstrebende Macht in Ostasien bilden sollte, ohne die Mitwirkung Indiens nicht möglich war, führte letztendlich zu dieser Entscheidung. Auch Indonesien, das zuvor eine eher gemäßigte Haltung innerhalb der ASEAN eingenommen und konkrete Regelwerke abgelehnt hatte, begann sich 1992 für die Bildung supranationaler Regelwerke und Institutionen innerhalb der Gemeinschaft auszusprechen, ebenso wie für die Umsetzung der geplanten ASEAN-Freihandelszone. Die Aufnahme Indiens in das ASEAN Regional Forum (ARF) 1996 markierte ebenfalls das Ende der einstigen sicherheitspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Indonesien.

In diesem Sinne standen auch die gegenseitigen Staatsbesuche von Indonesiens Präsidenten Wahid und Indiens Premier Vajpayee, die im Jahre 2000 und 2001 stattfanden. Diese unterstrichen die Annäherung zwischen den bei-den Staaten, die trotz des Bedeutungsverlustes der Blockfreien, ihr gemeinsames Auftreten zur Stabilisierung der Region in wirtschaftlicher Hinsicht ausbauen wollten. Hierbei wurde die Bedeutung der zwei Länder, die sich als größte Demokratien in der Region verstehen, hervorgehoben. 2002 folgte ein weiterer Besuch von Präsidentin Megawati in Indien, der ganz im Sinne der langjährigen persönlichen Freundschaft zwischen ihrem Vater Sukarno und Nehru stand, sowie deren bedeutende Führungsrolle bei der Gründung und späteren politischen Gestaltung der Blockfreien. Gegenseitiges Vertrauen und gleiche gesellschaftliche und politische Herausforderungen standen im Mittelpunkt der Gespräche, ebenso wie die Absicht, die bilateralen Beziehungen zwischen den bei-den Ländern auf höchster Ebene zu festigen. Auch dankte die indische Führung Indonesien für seine Unterstützung bei der Aufnahme Indiens in die ASEAN und das ARF.

Am 28. Juni 2007 wurde die 20 Monate junge strategische Partnerschaft zwischen Indonesien und Indien intensiviert. Diese soll nicht nur den Handel zwischen den beiden Ländern bis 2010 mehr als verdoppeln, sondern ebenfalls die gemeinsame Verteidigung und Sicherung (zum Beispiel die Malakka-Meeresenge), sowie hochrangige politische Gesprächsrunden stärken. Auch bei diesen Gesprächen lag die Betonung auf der langjährigen Freundschaft der beiden Länder, auf gleichen historischen und kulturellen Merkmalen und auf indischer Seite bei der strategischen Schlüsselfunktion Indonesiens für die gemeinsame Arbeit in der ASEAN.

Auch das letzte Gipfeltreffen der Blockfreien 2006 in Havanna, an dem sowohl Indonesien als auch Indien teilnahmen, setzte sich mit weltwirtschaftlichen Themen auseinander. Indien, das sich in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs befindet, mahnte zur "Mäßigung, Eintracht und Vernunft" und bezog sich damit auf den anti-amerikanischen Tenor des Treffens. Reorganisierung der Blockfreien und eine Vertiefung der Süd-Süd-Kooperation bedeuten für Indiens wirtschaftlichen Kurs in Anbetracht wirtschaftlicher und politischer Bündnisse mit den USA eine zukünftige Herausforderung, zwischen der Zugehörigkeit zu der Blockfreien-Bewegung einerseits, und dem wirtschaftlichen Wachstum und der Notwendigkeit internationaler Kooperationen andererseits. Nicht zuletzt die Befürwortung des amerikanischen Raketenabwehrsystems, die scharfe Kritik aus den Reihen der indischen Opposition hervorgerufen hat, lässt erkennen, dass die Blockfreien-Zugehörigkeit Indiens mehr und mehr seiner Stellung zwischen den Großmächten weichen muss.

 

 

(Der Beitrag ist Bestandteil der in einer Kooperation des Südasien-Informationsnetz mit der südostasien-Informationsstelle am Asienhaus Essen erschienen Ausgabe der Zeitschrift südostasien 4/2007)

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien und Südostasien .

Quellen

Pörtner, Marie-Luise: Die Blockfreien-Bewegung seit 1989, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden (1997)

Matthies, Volker: Die Blockfreien – Ursprünge. Entwicklung. Konzeptionen, Leske + Budrich, Opladen (1985)

http://www.tribuneindia.com/2001/20010113/edit.htm#2

http://www.mea.gov.in/pressrelease/2002/04/04pr01.htm

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