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09. August 2002. Nachrichten: Wirtschaft & Soziales - Südasien Human Development Report 2002 veröffentlicht

Kritische Reaktion aus Indien

Mit der Veröffentlichung seines alljährlichen Berichts zur Lage der Entwicklung in den UN-Mitgliedsstaaten, dem Human Development Report, hat das United Nations Development Program (UNDP) Kritik von staatlicher Seite aus Indien geerntet.

Wesentlicher Bestandteil des umfangreichen statistischen Materials ist der von UNDP errechnete Human Development Index (HDI). Dieser setzt sich aus vier empirischen Variablen zusammen: der Lebenserwartung, der Alphabetisierungsrate, der Einschulungsrate und dem Pro-Kopf-Einkommen. Anhand des HDI wird von UNDP eine Rangliste aller UN-Mitgliedsstaaten erstellt - und auf dieser Rangliste nimmt Indien den 124. Platz ein.

Ein unerklärbar niedriger Rang für die größte Demokratie der Welt, wie Murli Manohar Joshi, der indische Minister für Arbeit, laut BBC findet. Seiner Ansicht nach stützt sich der Bericht zu sehr auf die materiellen Aspekte von Entwicklung, und ignoriert dabei ‚spirituelles Glück' und ‚Intellektuelle Fortschritte'.

Indiens Rang im diesjährigen Bericht entspricht in etwa dem des vorigen Jahres, in dem Indien Position 115 einnahm, da mit 162 Ländern zehn Länder weniger in den Report aufgenommen wurden. Im Vergleich zu seinen südasiatischen Nachbarn steht Indien relativ gut da: Pakistan nimmt Platz 138 ein, Bhutan Platz 140, Nepal Platz 142, und Bangladesh Platz 145. Lediglich Sri Lanka ist mit Platz 89 deutlich besser gestellt.

Der Sinn einer Rangliste von Staaten anhand einer einzigen zusammengerechneten Kennziffer ist sicherlich fraglich. Die suggerierte direkte Vergleichbarkeit erklärt die ablehnenden Reaktionen Joshis - und man kann sich vorstellen, wie die Reaktionen erst ausgefallen wären, hätte Indien einen Platz hinter Pakistan eingenommen. Bei der Kalkulation des HDI wird von UNDP allerdings versucht, eben jene Aspekte, die Joshi vermisst, mit einfließen zu lassen. ‚Spirituelles Glück' wird sicherlich immer schwer messbar bleiben. Wenn man sich allerdings dazu entschieden hat, eine Quantifizierung durchzuführen, so ist das Pro-Kopf-Einkommen kombiniert mit der Lebenserwartung und Bildungschancen sicherlich nicht die schlechteste und materialistischste Variable, um sich zumindest den Lebensbedingungen anzunähern. Mit ‚Intellektuellen Fortschritten' spielt Joshi höchstwahrscheinlich auf Indiens Erfolge im IT und Weltraumsektor an. Diese intellektuellen Höchstleistungen sind allerdings für die Masse der Bevölkerung wohl relativ irrelevant. Einschulungsraten und die Alphabetisierungsrate, ihrerseits mit Problemen behaftet, geben sicherlich einen reicheren Aufschluss über Fortschritte im intellektuellen Bereich.

Zudem sind der HDI und die Länderrangliste nur ein Teil des umfangreichen Materials des Berichts. So werden Daten zu Gesundheit, Situation von Frauen, und Umweltschutz veröffentlicht. Gerade im Gender-Bereich erntet Indien Kritik. Die Tötung von etwa 10.000 weiblichen Säuglinge pro Jahr wird im Bericht erwähnt, genauso wie Studien, die zeigen, dass die Abtreibung weiblicher Föten weitaus höher liegt als die männlicher - in einer Klinik in Bombay waren 7999 von 8000 Abtreibungen weibliche Föten. Gender-Ungleichheiten finden sich auch in den indischen Bildungsdaten: so ist die Einschulungsrate der 6-14 jährigen Jungen etwa 17%-Punkte höher als die der Mädchen. Auch die Alphabetisierungsrate, differenziert nach Geschlecht, zeigt eine 15%-Punkte höhere Analphabetenrate der Frauen im Vergleich zu der der Männer.

Indien hat zudem den höchsten Anteil von Armen an der Gesamtbevölkerung auf dem südasiatischen Subkontinent, definiert nach der 1$ (PPP)-pro-Tag-Grenze der Weltbank. Laut Bericht liegt der Anteil der Armen in Indien bei 44.2%, gefolgt von Nepal mit 37.7%, Pakistan mit 31% und Bangladesh mit 29.1%. Sri Lanka weist lediglich 6.6% in dieser Kategorie auf; für Bhutan liegen keine Daten vor.

Der Bericht betont jedoch auch Erfolge Indiens. Die bekannte Tatsache, dass Indien seit der Einführung der Demokratie keine Hungersnot trotz häufiger Dürre erlitt, wird ebenso positiv erwähnt wie die Autonomie der indischen Gerichtsbarkeit.

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