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23. Juli 2003. Nachrichten: Politik & Recht - Südasien Friedenssignale des Maulana

Pakistans Oppositionsführer auf spektakulärem Besuch beim "Erzfeind"

Indiens Premier Atal Bihari Vajpayee empfing am Sonntag einen außergewöhnlichen Besucher: Maulana Fazlur Rehman, Frontmann der pakistanischen Fundamentalisten. Er reist an der Spitze einer vierköpfigen Parlamentsdelegation durch Indien.

Keine Frage, dass die Entscheidung, dem prominenten Religionsführer und Politiker die Einreise zu gewähren, an höchster Stelle in Delhi fiel. Offensichtlich ließ man sich davon leiten, dass Rehman und seine Partei Jamiat-Ulema-e-Islam scharfe Opponenten von Präsident General Pervez Musharraf sind und dass er bei einem Auftritt in Indien weniger Schaden anrichten kann als mit antiindischem propagandistischem Dauerfeuer von jenseits der Grenze.

Premier Vajpayee war, so zeigte sich schnell, von Kennern der pakistanischen politischen Szene richtig beraten worden. Denn zur Überraschung der indischen Öffentlichkeit präsentierte sich der Maulana bislang nicht als Scharfmacher. Vielmehr entpuppte er sich als ein Mann des Friedens und des Dialogs. Das jedenfalls waren die Hauptthemen seiner anderthalbstündigen Audienz bei Vajpayee.

Anschließend resümierte der pakistanische Oppositionsführer, überall in Indien sei er mit Wärme und gutem Willen empfangen worden. Deshalb werde er eine "Botschaft des Friedens" mit nach Pakistan nehmen. Wiederholt äußerte Rehman vor Journalisten, dass er nicht in Indien sei, um die Linie der pakistanischen Regierung zu verfechten. Aber er wolle die ohnehin komplizierten bilateralen Beziehungen auch nicht durch unbedachte Bemerkungen noch mehr belasten. "Ich vertrete nicht jene, die von Kampf reden, sondern jene, die durch Dialog Probleme lösen wollen", sagte der Führer der Muttahida Majlis-e-Amal, des Bündnisses religiöser Parteien in der Nationalversammlung Pakistans.

Mit Spannung hatte man auf Rehmans Meinung zum Kaschmir-Problem gewartet. Bislang sagte man ihm nicht nur enge Verbindungen zu den Taliban nach - er war einer der Religionsführer, die pakistanische Gläubige anstachelten, in Afghanistan gegen die Antiterrorkoalition zu kämpfen -, sondern auch Unterstützung für die militanten Jehadi-Organisationen, wie Harkat-ul-Mujahedin, die seit 15 Jahren im indischen Jammu und Kaschmir für Unabhängigkeit oder Anschluss an Pakistan streiten.

Der Politiker bestritt in Delhi jegliche Verbindungen zu militanten extremistischen Gruppen. Auf die Frage nach dem von Indien immer wieder in den Vordergrund gestellten "grenzüberschreitenden Terrorismus" in Jammu und Kaschmir entgegnete Rehman, es gebe keine klare und einheitliche Definition von Terrorismus, und deshalb wolle er zu diesem Thema keine neue Debatte vom Zaune brechen. Präsident Musharraf hingegen hat mehr als einmal betont, dass die Tätigkeit der Rebellen in Jammu und Kaschmir nichts anderes als Freiheitskampf sei.

Der Gast, der einer Einladung der moderaten indischen muslimischen Partei Jamiat Ulema-e-Hind folgt, hatte zu Kaschmir jedoch noch einige Pfeile im Köcher, die er überraschenderweise nicht gegen Delhi, sondern gegen Islamabad abschoss. So muss seiner Meinung nach der Konflikt durch einen Dialog geregelt werden, der auf dem Simla-Abkommen von 1972 und allen anderen Resolutionen und bilateralen Vereinbarungen beruht. Seit Musharrafs Machtergreifung im Oktober 1999 legt Pakistan offiziell kaum noch Wert auf das Simla-Abkommen. Wie Delhi hält auch Rehman nichts von Vermittlungen durch eine dritte Seite. Die USA drängen sich in diese Rolle - von Musharraf hofiert, von Indien abgelehnt.

Noch einen Schritt weiter ging der Maulana am Sonnabend, als er im privaten indischen Fernsehkanal "Aaj Tak" feststellte, seine Partei habe keine Bedenken, die Kontrolllinie zwischen dem pakistanischen und dem indischen Teil Kaschmirs in eine internationale Grenze umzuwandeln, wenn das von beiden Staaten und der Bevölkerung Kaschmirs akzeptiert wird. Das steht nun im offenen Widerspruch zum Kurs Musharrafs, der sich gegen eine solche Transformation der Kontrolllinie sperrt und damit den Kaschmir-Zwist nahezu unlösbar macht. Während Indien mit den Standpunkten des Gastes ziemlich zufrieden sein kann und den Besuch als Beitrag zur Normalisierung des Nachbarschaftsverhältnisses bewertet, wird Pakistans Regierung dem Maulana nach seiner Rückkehr nicht gerade einen begeisterten Empfang bereiten.

Quelle: Der Text erschien am 22. Juli 2003 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

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