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31. Dezember 2003. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Delhis Kongress-Chefministerin Sheila Dixit im Amt bestätigt

Nach einem lethargischen, von allgemeiner Politikverdrossenheit geprägten Wahlkampf brachte der Urnengang in der indischen Hauptstadt am 1. Dezember 2003 nur geringfügige Veränderungen in der Sitzverteilung des Regionalparlaments (Vidhan Sabha). Umfragen hatten der regierenden Kongresspartei (Congress I) unter Chefministerin Sheila Dixit vorab einen klaren Sieg prophezeit. Die charismatische Landesherrin sicherte ihrer Partei eine letzte Hochburg, während der Kongress bei den parallel abgehaltenen Landtagswahlen in Rajasthan, Chhattisgarh und Madhya Pradesh mit überwältigendem Vorsprung von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) geschlagen wurde.

Der seit 1998 in der Hauptstadt regierende Congress I behielt mit 47 Mandaten von den 70 Parlamentssitzen eine komfortable Mehrheit. Die BJP als größte Oppositionspartei konnte ihren Sitzanteil lediglich um fünf auf 20 erweitern.

Dem Spitzenkandidaten der BJP, Madan Lal Khurana, gelang es seine direkte Herausforderin, die ehemalige Studentenführerin Alka Lamba vom Congress I mit einem Vorsprung von 15.000 Stimmen im Wahlkreis Moti Nagar zu schlagen. Gleichwohl zog er sich einige Tage später, unmittelbar nach Bekannt werden der Wahlniederlage, von der lokalen politischen Bühne zurück und legte auch sein Mandat für das indische Unterhaus (Lok Sabha) nieder. Einige Wochen darauf wurde bekannt, dass Premierminister Atal Behari Vajpayee, Khurana mit dem Posten des zukünftigen Gouverneurs von Rajasthan bedacht hat.

Der Wahlerfolg Sheila Dixits ging sicherlich auf ihren Ruf zurück, die Probleme der Hauptstadt mit resoluter Hausfrauenart anzugehen. Sie hatte innerhalb der letzten Legislaturperiode in der als traditioneller BJP-Hochburg geltenden und offiziell 13-Millionen Einwohner zählenden Metropole eine erfolgreiche Privatisierung der Stromversorgung zustande gebracht. Zudem gelang es ihrer Regierung, den Bau der Metro voranzutreiben. Der Zustand vieler Straßen ist trotz zahlreicher Baustellen für das Metroprojekt mancherorts weit über dem Landesdurchschnitt. Die Umrüstung von Bussen und Autorikshaws auf Naturgasantrieb fiel ebenso in ihre Amtzeit. Dass diese Verordnungen seinerzeit vor allem auf Betreiben des Obersten Gerichtshofes durchgesetzt wurden und so zur Verbesserung der Luft- und Lebensqualität für die Hauptstädter beitrug, änderte nichts an der Popularität der Maßnahmen, die die Bürger dem Konto Dixits gutschrieben.

Zeitlich gelegen kam auch die Entscheidung zugunsten Delhis im Wettbewerb um die Ausrichtung der Commonwealth-Spiele im Jahre 2010. Die mit dem Sportereignis verbundenen Investitionen in die ohnehin privilegierte Stadt, lässt viele Einwohner auf eine weitere Modernisierung der Infrastruktur hoffen.

Wahlkampf und Politikverdrossenheit

Der Wahlkampf in New Delhi war geprägt von Politikverdrossenheit. Der frühere Massenzulauf zu Demonstrationen und Kundgebungen im Wahlkampf blieb eine seltene Ausnahme. Um Peinlichkeiten zu vermeiden, beorderte daher beispielsweise die Kongresspartei ihre Mitglieder zu Auftritten von Parteipräsidentin Sonia Gandhi.

Andere Parteien versuchten desinteressierte Wähler mit Textmitteilungen (SMS) auf ihre Mobiltelefone zu erreichen oder mobilisierten Stars aus Film und Fernsehen als Zugpferde. Dennoch verpuffte der Wahlkampf weitgehend unbeachtet durch die Bevölkerung.

Eine Erklärung für das Desinteresse der Bevölkerung an Politikern bot das Nachrichtenmagazin Outlook mit Umfrageergebnissen zum Thema angesehene Berufsgruppen: Politiker belegten mit Schwarzmarkthändlern und Zuhältern die hinteren Plätze der Möglichkeiten. Über drei Viertel der Befragten waren der Auffassung, dass die meisten Politiker korrupt seien. Knapp zwei Drittel hielten Politiker heute für schlechter als früher. Den größten Zuspruch erhielt die Forderung nach einer Altersgrenze, die für den Großteil der politischen Klasse das Aus bedeuten würde: Allein der Premier Vajpayee und sein Stellvertreter Advani kommen zusammen auf mehr als 150 Lebensjahre. Politikverdrossenheit scheint insbesondere ein Phänomen unter den Mittelschichten zu sein. Outlook, schmeichelte dieser Klientel, indem es die „hart arbeitenden städtischen Mittelklassen" mit ihren Wertvorstellungen als Antithese zu Politikern darstellte.

Doch böse Zungen behaupteten, dass vielmehr der Neid auf Politiker und ihre Möglichkeiten, schnell Geld zu machen, Vertreter dieser Schichten zu solchen Statements verleitet. Nicht übersehen werden darf dabei, dass landesweit Gerichtsverfahren wegen Bestechungsaffären von Kabinettsmitgliedern bis hin zu Chefministern alltäglich die Nachrichten prägen.

Insofern dienten die Regionalwahlen in Delhi und den drei anderen Staaten, zu denen über 150 Millionen Inder aufgerufen waren, nicht nur als Test für die Parlamentswahl 2004 sondern war auch Indikator für die Politikverdrossenheit der Bevölkerung: In Delhi drückten beispielsweise nur knapp über 50 Prozent ihren Knopf während des elektronischen Urnengangs.

Quellen

  • Diverse Ausgaben der Times of India
  • Bernhard Imhasly: Niederlage der Kongress-Partei in Indien, in: tageszeitung, 5.12.2003, S.9
  • V. Venkatesan: A lone victory, in: Frontline, Jahrgang 20, Ausgabe 26 (20. Dezember 2003 – 2. Januar 2004), S.17-18
  • Jochen Buchsteiner: Und keiner geht hin, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2003, S.6

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