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14. Dezember 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Indien nach dem Anschlag auf das Parlament

Bei dem Überfall eines Selbstmordkommandos auf das indischen Parlament in New Delhi kamen am 13. Dezember 2001 12 Menschen um Leben, etwa 30 wurden verletzt. Um 11:25 Uhr Ortszeit fuhren die fünf Angreifer mit einem gestohlenen Wagen vor das Parlamentsgebäude, in dem sich etwa 100 Abeordnete aufhielten, warfen Handgranaten und schossen mit Schnellfeuerwaffen um sich.

New Delhi. Während der etwa einstündigen Schießerei mit sofort herbeieilenden Sicherheitskräften, die live im Fernsehen übertragen wurde, kamen sechs Polizisten, ein Gärtner und vier der Angreifer ums Leben. Der fünfte Angreifer zündete eine Bombe an seinem Körper. Nach dem Überfall übernahm das Militär den Schutz des Regierungsviertels. Außerdem wurde der Schutz aller indischen Landtage verstärkt. Premierminister Atal Behari Vajpayee sprach von einer "Warnung an die gesamte Nation" und fügte hinzu: "Wir nehmen die Herausforderung an." Hinweise auf den Hintergrund des Anschlags gab es zunächst nicht.

Der Selbstmordangriff auf das indische Parlament schockierte die Nation und das politische Establishment zutiefst. Vize-Präsident Krishan Kant entkam nur durch glücklichen Zufall, sein Begleitschutz zählt zu den Opfern. Premierminister Atal Behari Vajpayee, kurz zuvor von einem fünftägigen Besuch aus Japan zurückgekehrt, sprach davon, dass nun der entscheidende Kampf mit dem Terrorismus in seiner letzten Phase bevorstehe. Innenminister L. K. Advani wies Vorwürfe über eine Sicherheitspanne ebenso zurück wie einen Zusammenhang mit angeblich erhöhtem Geschützfeuer zwischen indischen und pakistanischen Truppen (Star TV, 13.12.2001). Über die genaue Herkunft der Attentäter besteht noch Unklarheit. Es wird jedoch eine Nähe zu den Separatisten in Kashmir unterstellt.

Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf verurteilte den Anschlag eindeutig, was die indische Presse auf ihren ersten Seiten hervorhob. In einer absurden Interpretation insinuierte dagegen Syed Salahuddin, der Vorsitzende des United Jehadi Council (UJC) und Chef der separatistischen Hizb-ul-Mujahideen, "der Anschlag sei von den indischen Geheimdiensten inszeniert worden", um eine verschärfte Anti-Terror-Gesetzgebung ("Prevention of Terrorism Ordinance" POTO) durchzudrücken (The Hindu, 14.12.2001).
Opposition fordert Rücktritt von Verteidigungsminister George Fernandes und lehnt POTO ab

Der Anschlag fand in einer Atmosphäre statt, in der die Opposition entschieden den Rücktritt von Verteidigungsminister George Fernandes forderte. Der Altsozialist geriet zusätzlich unter Druck, da ein offizieller Untersuchungsbericht weitere finanzielle Unregelmäßigkeiten in seinem Ministerium offenbarte, emotional besonders die Gemüter erregend der Kauf von überteuerten Aluminium-Särgen, angeblich gedacht für die Opfer des Grenzkrieges in Kargil zwischen Indien und Pakistan 1999. Beobachter befürchten, Fernandes könne sich als Mühlstein für die BJP bei der im Februar bzw. März erwarteten wichtigen Wahl im indischen Megastaat Uttar Pradesh (150 Mio. Einwohner) erweisen.

Die führende innenpolitische Journalistin Smita Gupta (The Times of India, 14.12. 2001) sieht Chancen, dass die Regierung nach dem Anschlag POTO in den nächtsen Tagen im Parlament durchbringen könne, zumal Sie einigen Bedenken der Opposition hinsichtlich einer kürzeren Laufzeit entgegengekommen sei.

Jaipal Reddy, Hauptsprecher des Congress (I), schliesst dagegen eine entgegenkommende Haltung der Opposition aus. Interessanterweise kam es mit Blick auf die für die innenpolitische Stabilität in Indien so entscheidenden Wahlen in Uttar Pradesh zu einer Annäherung zwischen dem früheren Verteidigungsminister und Ministerpraesidenten von Uttar Pradesh, Mulayam Singh Yadaw (Samajvadi Party) und Sonia Gandhi, der Präsidentin des Congress(I), vermittelt durch die Communist Party of India, (Marxist). Vajpayee unterstrich seinen innenpolitischen Manövrierspielraum u.a. dadurch, dass er an den grossen Geburtstagsfeierlichkeiten von Ex-Verteidigungsminister Sharad Pawar in Bombay teilnahm. Der frühere Ministerpräsident und Führer der Nationalist Congress Party (NCP), gegenwärtig in Maharashtra Juniorpartner in der vom Congress(I) geführten Landesregierung, signalisierte eine mögliche Unterstützung der "Prevention of Terrorism Ordinance" (POTO).

Der Anschlag auf das indische Parlament hat zusätzliche Bewegung in die indische Innenpolitik mit noch unabsehbaren Konsequenzen für die innere Sicherheit und die indische Demokratie gebracht.

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