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27. Dezember 2007. Analysen: Pakistan - Kunst & Kultur Ein Streifzug durch Pakistans schwer zugängliche Filmgeschichte

Wenn man die Geschichte des pakistanischen Kinos eingehender betrachtet, trifft man immer wieder auf den Staat, der durch das Scheitern demokratischer Werte, die Aussetzung der Verfassung und die Verhängung des Kriegsrechts in Mitleidenschaft gezogen wurde. Entsprechend oft wurde auch das pakistanische Kino beeinträchtigt durch die Zensur, Geringschätzung und politische Ambivalenz der Regierung.

Die Frühphase

Der erste in Lahore gedrehte Stummfilm lief 1924 unter dem Titel "The Daughter of Today" an. Er wurde von G.K. Mehta produziert und legte den Grundstein für den Filmstandort Lahore. Bis Mitte der 1940er Jahre hatte sich das Interesse an Filmen und Filmproduktion generell deutlich erhöht. Allein 1946 – ein Jahr vor der Teilung – wurden 144 Filme auf dem indischen Subkontinent gezeigt, 107 davon stammten aus Bombay, 24 waren Importe aus Großbritannien und den USA, vier waren in Kalkutta gedreht und neun in Lahore.

Im Zuge der massenhaften Abwanderung, die die Teilung begleitete, migrierten viele Filmschaffende von Lahore nach Bombay. Es gab aber auch berühmte Künstler, die sich für einen Umzug von Bombay nach Lahore entschlossen. Die berühmteste unter ihnen war keine geringere als Noorjehan, zusammen mit ihrem Ehemann, dem Regisseur Shaukat Rizvi. Andere namhafte Künstler waren etwa der Produzent und Regisseur W.Z. Ahmed, der Schauspieler und Regisseur Nazir mit seiner Frau, der Schauspielerin Swaranlata, der Regisseur Subtain Rizvi sowie die beiden Komponisten Master Ghulam Haider und Khursheed Anwar. Durch die Ankunft dieser Filmgrößen überstand das pakistanische Kino die ersten Jahre nach der Teilung nahezu unbeschadet.

Der erste pakistanische Spielfilm war "Teri Yaada" (1948) mit Asha Posley, Pran und Dilip Kumars Bruder Nasir Khan in den Hauptrollen. Interessanterweise war Dilip Kumar – geboren in Peshawar im heutigen West-Pakistan – bereits vor der Teilung nach Bombay gegangen, wo ihm der Aufstieg zu einem der größten Filmstars Indiens gelang. "Teri Yaada" fiel beim Publikum durch und wurde noch in der Premierennacht zum Flop erklärt. Die Filmproduktion lief dennoch weiter und "Teri Yaada" folgten schon bald die Filme "Sachai" (1949), "Ghalatfehmi" (1949), "Pherey" (1949) und "Mundri" (1949) nach.

Poster der Sängerin Noor Jehan
Die pakistanische Sängerin Noor Jehan wurde "Mallika-e-Tarranum" (Königin der Melodien) genannt. Foto: pakistanimusic.com

In der Zwischenzeit gelang Noor Jehan mit ihren Punjabi-Melodien ein kometenhafter Aufstieg. Als unangefochtene Malika-e-Tarranum ("Königin der Melodien") in ganz Südasien verhieß ihr Erfolg Gutes für die pakistanische Filmindustrie. Mit ihrem Film "Chan Ve" (1951) debütierte sie als erste weibliche Filmregisseurin Pakistans. Ein Jahr später folgte ihr Film "Do Patta", der auch in Indien großen Anklang fand. Der Erfolg von "Do Patta" zog eine Reihe von Kooperationen zwischen indischen und pakistanischen Künstlern nach sich, allen voran zwischen indischen Filmregisseuren und Noorjehan. Doch obwohl die Filmindustrie in Lahore in den ersten Jahren nach der Teilung aufblühte, traten schon bald die unzähligen Schwierigkeiten in den Vordergrund, die die politische Instabilität des Landes nach sich zog.

Zunächst war Bombay seit jeher das Filmzentrum auf dem Subkontinent, auch wenn Lahore vor der Teilung häufig mit Bombay um die größten Talente wetteiferte. Der Mangel an talentiertem Nachwuchs, der mit der Teilung einher ging, wurde bald zu gravierend, als dass man ihn als temporäres Problem betrachten konnte. Zweitens lies das Verbot indischer Filme angesichts des politisch-religiösen Klimawechsels in Pakistan nicht lange auf sich warten. Aus diesem Grund fanden gemeinsame Projekte zwischen Bombay und Karachi ebenso wie die Beteiligung von Künstlern aus Bombay an Filmen, die in Lahore gedreht wurden, ein abruptes Ende. Filmschaffende aus Lahore hatten das Verbot angeregt, um auf diesem Weg eine Protektion des pakistanischen Marktes gegenüber den überlegenen Produkten aus Bombay sicher zu stellen. Für die Politiker war diese wirtschaftliche Kalkulation unweigerlich mit konservativen religiösen Dogmen versetzt und entpuppte sich so als langfristige Entscheidung.

Pakistanische Filme waren in provokanter Weise anti-westlich und anti-modernistisch, da die Familien-Melodramen oftmals gesamtgesellschaftliche Problembereiche als Folge westlicher oder anti-traditionalistischer Einflüsse darstellten, die es zu beseitigen galt.

Die goldene Ära

Obwohl es offensichtlich war, dass Lahore kräftig von der Bombayer Filmindustrie kopierte, führte das Verbot indischer Filme zur Entstehung eines eigenständigen pakistanischen Stils. Auch wenn die Filme große Ähnlichkeiten aufwiesen, gelang es den pakistanischen Filmemachern, qualitativ hochwertige Filme mit schönen Melodien zu drehen, die mit dem indischen Kino mithalten konnten. Werden die Jahre zwischen 1948-1955 als Entwicklungsphase betrachtet, so gilt die Phase zwischen 1956-1966 analog zur indischen Filmgeschichte als goldene Ära des pakistanischen Kinos.

Diese Blütezeit des pakistanischen Kinos brachte mit Khalid Qaiserm Masood Pervais, Hassan Tariq, Pervais Malik einen neuen Typus von Regisseuren hervor. Anwar Pashars Filme "Do Anso" (1950), "Qatil" (1955) und "Anarkali" (1958) fanden bei den Kritikern große Anerkennung. "Union" (1964) und "Woman" (1965) leiteten das Zeitalter des Farbfilms in Pakistan ein, als dessen Meilenstein lange Zeit der Film "Love Legend" (1970) galt. Filmpuristen beharren darauf, dass die Qualität und Hingabe der Künstler während dieser goldenen Kinoära sowohl in Indien als auch in Pakistan unerreicht bleiben, trotz heutiger technischer Möglichkeiten.

Die Entfaltung des pakistanischen Kinos wurde jedoch kontinuierlich von den wiederkehrenden politischen Auseinandersetzungen sabotiert. Besonders schlimm war in dieser Hinsicht die wiederholte Verhängung des Kriegsrechts, 1969 durch General Yahya Khan, 1971 durch Zulfikar Ali Bhutto nach der Teilung Ost- und West-Pakistans und insbesondere 1977 durch General Mohammad Zia ul-Haq.

Der Verlust Ost-Pakistans traf die pakistanische Filmindustrie schwer, da gerade diese Region ein bedeutender Markt für Filme aus Lahore und Karachi war. Darüber hinaus führte der militärische Angriff zum Verlust vieler kreativer Künstler, die in Bengalen verblieben, während andere ihr Glück in Bombay suchten. Auch hatte die Region ein Drittel der Gesamtinvestitionen in die Filmindustrie aufgebracht, so dass sich die Teilung als äußerst schädlich für die weitere Entwicklung der filmischen Infrastruktur West-Pakistans erwies.

Auf der anderen Seite stärkte die Gründung Bangladeschs wiederum die Entwicklung regionalsprachiger Filmindustrien, wie etwa des Punjabi-, Pashto- und des Sindhi-Kinos. Diese umfassende "Phase des großen Wandels" stellt die größte Veränderung in der Geschichte der pakistanischen Filmindustrie seit der Teilung 1947 dar.

Die wiederholte Verhängung des Kriegsrechts untergrub die Kreativität und das Potenzial der Filme als Kunstform oder kulturelles Konstrukt und trieb die Industrie weiter in die Flaute. Das Kino wurde von den jeweiligen Machthabern als illegitime Industrie betrachtet. Sie mischten sich in technische Fragen ein, einschließlich der Filmlänge, und führten willkürliche Registrierungskriterien ein. Die Unterhaltungssteuer auf Filmtickets bestand fort, obwohl das Kino keinem Wettbewerb durch ein anderes visuelles Mediums ausgesetzt war. Säkulare Wertvorstellungen wurden allzu häufig durch eine streng islamische Ausrichtung ersetzt. Filme, die nach der Verhängung des Kriegsrechts 1977 entstanden, waren laut und äußerst brutal – nahezu ein Ausdruck des gesellschaftlichen und politischen Klimas jener Zeit.

Dieser kulturelle Niedergang vollzog sich zur selben Zeit in ähnlicher Weise im Kino Bollywoods. Ebenso wie die meisten pakistanischen, wiesen die in Bollywood produzierten Filme ästhetische Defizite und einen Mangel an Finesse auf und waren voller Gewaltszenen. Beide Filmindustrien suchten nach einer neuen Identität. Sultan Rahi war der erfolgreichste Vertreter dieses sadistischen Kinos, er wurde Pakistans unbestrittener Macho-Held. Was dazu beitrug, dass sich immer weniger Familien zum traditionellen gemeinsamen Kinobesuch aufmachten und die Einnahmen der Kinos sich zunehmend verschlechterten.

Szenenfoto: Aina
Szenenfoto aus "Aina" Foto: promo

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass der erfolgreichste Film der pakistanischen Filmgeschichte, "Aina" (1977), inmitten der Anarchie, die das Land beherrschte, ganze 400 Wochen lang lief. Und die pakistanische Regierung verkündete sogar 1984, als die Verfassung ein weiteres Mal außer Kraft gesetzt und Kriegsrecht verhängt wurde, die Schaffung eines nationalen Filmpreises als zusätzlichen Anreiz für die heimische Filmindustrie.

Die Einführung der Videotechnologie und die anhaltende Krise der lokalen Filmproduktion brachten jedoch die weitaus attraktiveren indischen und andere ausländische Filme auf den offenen Markt, was das pakistanische Kino weiter in die Knie zwang.

Die Krise

Der unglaubliche Aufstieg und die globale Expansion Bollywoods seit Mitte der 1990er Jahre vergrößerte die Kluft zwischen den beiden Filmindustrien um ein Vielfaches. Aufgrund der kulturellen und sprachlichen Bande zwischen Indien und Pakistan sank die Nachfrage nach den qualitativ minderwertigen Filmen aus Lahore, während die technisch überlegenen und in thematischer Hinsicht ansprechenderen Film aus Indien überall erhältlich waren. Die zeitgleiche Ausdehnung des Kabelfernsehens und die Raubkopien taten ihr Übriges dazu, dass die Pakistanis zu Hause frei nach Geschmack ihre Filme auswählen konnten. Das heimische Kino verlor sein Publikum, Lichtspielhäuser ihre Kunden und durch die saftigen Steuern auf alles, was mit dem Kino in Pakistan zu tun hatte, gerieten Investitionen in Filmprojekte oder die Unterhaltung eines Kinos zum Risikogeschäft.

Noch schlimmer war der Niedergang der National Film Development Corporation (NAFDC) Ende der 1990er Jahre. Diese Organisation sicherte die Förderung des pakistanischen Kinos im Zusammenhang mit der Regulierung des Vertriebs von importierten Filmen. Als die NAFDC 2002 aufgelöst wurde, bedeutete dies das Ende für die Filmförderung und -entwicklung durch die pakistanische Regierung.

In Zahlen ausgedrückt, sank die Produktion von Filmen im Zeitraum von 1970 bis 2005/06 von 142 auf gerade mal 50 Filme. Ähnlich sieht es bei den Lichtspielhäusern aus, die von 700 im Jahre 1977 auf 250 im Jahr 2006 schrumpften.

Die Zukunft

In den letzten Jahren belebt ein frischer Wind in Gestalt des so genannten New Wave Pakistani Cinema die Filmlandschaft. Dahinter verbergen sich eine Reihe von jüngeren Regisseuren und Filmschaffenden mit frischen Ideen und neuen Themen. Durch den wiederbelebten Friedensprozess mit Indien und das gestiegene Interesse an Filmen als rentabler Kulturexport, ist eine Ausweitung von Kooperationen zwischen indischen und pakistanischen Künstlern zu beobachten.

Filmposter "Khuda ki liye"
Filmposter für "Khuda ki liye" Foto: promo

Auch sind die pakistanischen Filmschaffenden stärker als je zuvor bereit, ihre Filme einem größeren, internationaleren Markt zu präsentieren. "Khuda ki liye" (2007) ist eine Liebesgeschichte mit gesellschaftskritischer Botschaft. Auf dem neuesten technischen Stand produziert, weist dieser Film eine außergewöhnliche kinematografische und musikalische Qualität auf und hat außerdem durch den Gastauftritt von Naseerudin Shah, einem der erfolgreichsten Schauspieler Indiens, einiges Interesse auf sich gezogen.

Durch die Erklärung des Ausnahmezustands Anfang November 2007 hängt die Zukunft der pakistanischen Filmindustrie jedoch erneut an einem seidenen Faden. Politische Stabilität ist eine Grundvoraussetzung für eine gewinnbringende Filmindustrie. Nur wenn sie wieder hergestellt ist und Pakistan sein säkulares Erbe neu entdeckt, wird das pakistanische Kino imstande sein, seinen Platz unter den führenden Filmindustrien der Welt zu finden.

Im Moment muss es aber erst einmal ein neues Kapitel in seinem Überlebenskampf bestreiten.

 



(Übersetzung: Nadja-Christina Schneider)

 

Bibliografische Angaben und Literatur im Internet:

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Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Film in Südasien .

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