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27. Dezember 2007. Analysen: Weltweit - Sport & Unterhaltung Der Bollywoodboom in Deutschland

Ansatz zu einer Ursachenforschung

Nicht nur im politischen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich wird Indien zum neuen asiatischen Wirtschaftswunder hochstilisiert. Auch die Bereiche Lifestyle und Unterhaltung stehen im Fokus der öffentlichen Faszination. Bollywood und Indien sind "in". In Tanzschulen lernt man zu tanzen wie die Stars des indischen Kinos. Die Mode hat einen indisch eingefärbten "Ethno-Stil" wieder für sich entdeckt. Wellness-Angebote mit indischem Touch, Ayurveda und Yoga liegen voll im Trend. Im Internet sind eine Vielzahl von DVDs und CDs zu diesem Lebensbereich zu erstehen. Doch auch die vermehrt im deutschen Kino und Fernsehen laufenden indischen Filme rücken den Subkontinent zumindest stückweise in unser Blickfeld.

"Der Orient war beinahe eine europäische Erfindung, und er war seit der Antike ein Ort romantischer Begegnung, exotischer Wesen, düsterer Erinnerungen und erstaunlicher Ereignisse." – Edward Said, Orientalism (1978)

In Indien werden jährlich seit 2004 mehr als 900 Filme produziert. 1 Viele Deutsche sind der Ansicht, die Bezeichnung "Bollywood" treffe auf alle indischen Filme zu. Bollywood bezeichnet jedoch nur die in Mumbai situierte Filmindustrie, und keineswegs die Gesamtheit der Filme indischer Produktion. Die indische Filmindustrie zeichnet sich besonders durch ihre regionalsprachliche Diversität aus. Es werden Filme in etwa dreißig verschiedenen Sprachen produziert. So gibt es nicht nur umfangreiche Produktionen in Hindi, sondern auch in Bengali, Telugu, Kannada, Tamil und Malayalam, die in Indien sehr erfolgreich sind, da bei weitem nicht die gesamte Bevölkerung, besonders im Süden, hindisprachig ist. Nicht selten werden erfolgreiche Filme synchronisiert, oder der Stoff wird in einer anderen Sprache von einem anderen Unternehmen neu verfilmt.

Screenshot www.bollywoodportal.de
Screenshot von www.bollywoodportal.de Foto: www.bollywoodportal.de

Neben dem kommerziellen Kino ist auch das Kunstfilmkino durchaus von Bedeutung. Doch diese für den Subkontinent so typische Diversität wird von den meisten Deutschen kaum wahrgenommen.

Dabei treibt diese Begeisterung in den einschlägigen Fanforen im Internet bisweilen skurrile Blüten. So finden sich Äußerungen wie: "Deshalb lautet auch der wichtigste Tipp für jeden Bollywood-Novizen: schalte Deinen Intellekt aus und lass' Dich auf den Rausch der Emotionen ein!" 2 , "Es werden, finde ich, gute Werte vermittelt und gerade für Kinder ist so eine Heile-Welt Sichtweise doch beruhigend..." 3 , oder: "Bollywood ist schon eine Klasse für sich und bedient das Bedürfnis von "heile rosarote Welt" in mir." 4

In den meisten Fällen sind diese Fanseiten von unpolitischem oder romantisierendem Charakter. Oft werden strikte Unterscheidungen zwischen so genannten Frauen- und Männerfilmen gemacht. Selbstredend werden auch die passenden Zusatzpakete wie DVDs, CDs, Kochbücher sowie Tanz- und Fitnessvideos auf diesen Plattformen vermarktet. Auch in Globetrotter-Foren tauchen immer häufiger minderjährige und auch ältere Mädchen auf, die fragen, was sie tun müssen, wenn sie nach Indien auswandern wollen, wo sie Bollywood-Schauspielerin werden wollen. Nur wenige Seiten befassen sich ernsthaft mit dem Thema des indischen Films, und oft bleibt es bei Aussagen über das Aussehen der Lieblingsstars und Ähnlichem.

Lange Geschichte

Bollywood-Webseite von RTL2
Bollywood-Webseite von RTL2 Foto: Bollywood Inside / www.rtl2.de

Historisch gesehen hat Deutschland mit dem indischen Kino übrigens mehr zu tun, als man vielleicht erwarten würde. Bereits 1925 entstand mit "Prem Sanyas" ("Die Leuchte Asiens") die erste deutsch-indische Stummfilm-Koproduktion von Franz Osten und Himansu Rai. In der DDR wurden zwischen den 1950er und 1960er Jahren erstmals indische Filme gezeigt, viele mit hohem sozialkritischen Potenzial, und anschließend über den DFF ausgestrahlt. Bei der Berlinale wurden erst in den 1960er Jahren indische Werke vorgeführt. Die erste westdeutsche Fernsehausstrahlung war Satyajit Rays "Mahanagar" ("Die Großstadt", 1963). Daraufhin wurden bis in die Mitte der 1970er indische Kunst- und Spielfilme gesendet. Zwischen 1984 und 1987 wurden einige Kunstfilme, vor allem von Shyam Benegal und Mrinal Sen, gezeigt. Danach wurde bis auf eine kleine Reihe von Filmen Ritwik Ghataks 1996 im WDR und die späten Filme Satyajit Rays auf ARTE beinahe ein Jahrzehnt lang nichts Nennenswertes mehr präsentiert.

2004 begann der sensationelle Boom des kommerziellen indischen Kinos im deutschen Fernsehen. RTL2 war der erste Sender, der einen Bollywood-Erfolg zur besten Sendezeit ausstrahlte. Am 19.11.04 hatte man die Möglichkeit, eine gekürzte und synchronisierte Version des Filmes "Kabhi Khushi Kabhi Gham" zu sehen. Die Einschaltquoten übertrafen alle Erwartungen mit 15,1 Prozent aller Fernsehzuschauer zwischen 19 und 29 Jahren und 12,2 Prozent aller Zuschauer zwischen 19 und 49. Insgesamt sahen sich 2,33 Millionen Menschen den Film an. Seit diesem Einstiegserfolg wurden und werden immer wieder Bollywood-Filme auf RTL II gezeigt und mittlerweile hat sich ein festes Fanpublikum etabliert, das vor allem im Internet sehr präsent ist und in diversen Foren die Filme diskutiert.

Umfrageergebnisse

Um genauer zu verdeutlichen, wie Deutsche das indische Kino rezipieren, habe ich gemeinsam mit Alexa Altmann eine Umfrage bei hundert Frauen und hundert Männern in Berlin Mitte durchgeführt, die wir auf der Straße ansprachen und sie nach ihren Sehgewohnheiten bezüglich des indischen Kinos befragten. Die entstandene Statistik wird nun teilweise im Folgenden ausgewertet.

Grafik Sehdichte indischer Filme
Grafik zur Sehdichte indischer Filme Foto: Esther Welzk

Zunächst zur Sehdichte indischer Filme: Die meisten Befragten haben einen bis drei indische Filme gesehen, knapp über 50 Prozent der Frauen und knapp unter 50 Prozent der Männer. 20 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer haben keinen einzigen Film aus Indien gesehen. Interessant ist aber, dass nur ungefähr vier Prozent der Frauen mehr als zehn Filme gesehen haben, dafür jedoch immerhin zehn Prozent der Männer. Erstaunlich viele Menschen haben sich demnach den einen oder anderen Film im Fernsehen oder Kino bereits angeschaut. Allerdings gibt es bislang offenbar nur wenig eingefleischte Fans. Der Befragte, der am meisten Filme gesehen hatte, war ein Inder. Er hatte über 200 solcher Filme konsumiert, obwohl er Bollywood, wie er erklärte, nicht ausstehen konnte. Man käme eben einfach nicht umhin, diese Filme zu sehen.

Grafik Qualitätsbewertung
Grafik zur Qualitätsbewertung Foto: Esther Welzk

Als sie die Qualität der Filme mit Schulnoten bewerten sollten, waren sich gleich viele, oder beziehungsweise gleich wenige, nämlich zwei Prozent jeweils, Männer und Frauen einig über die Bestnote. 34 Prozent der Männer, hier die größte Gruppe, bewerten die Filme mit gut, aber nur 24 Prozent der Frauen. Beinahe 40 Prozent der Frauen halten die Filme für mittelmäßig, dafür aber um so weniger als schlecht. Dafür tun dies ungefähr 17 Prozent der Männer. Auffällig ist hier, dass sich die Frauen nicht so leicht zu einem grundsätzlich positiven oder negativen Urteil entschließen können. Durchschnittlich waren die Männer auch mit ihren Antworten wesentlich schneller, dafür aber auch entschlossener für ein schlechtes Urteil.

Grafik Themen
Grafik zu den Themen Foto: Esther Welzk

Bei der Frage nach den Themen, nannte eine klare Mehrheit, 69 Prozent, "Liebe und Beziehungen". Dreizehn Prozent nannten "Familie und Werte" und immerhin elf Prozent "Sozialkritik". Die Themen "historische Ereignisse" spielen nur für vier Prozent der Befragten und "Religion und Tradition" nur für drei Prozent eine wichtige Rolle. Ob diese Wahrnehmungen nun dem tatsächlichen Inhalt der Filme entsprechen, müsste untersucht werden.

Bei einer assoziativen Bewertung waren 35 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen für die Bewertung "kitschig". Als "realistisch", da stimmten Männer und Frauen in ihrem Urteil völlig überein, empfand man die Filme kaum. Die Bezeichnungen "bunt" wurden von 18 Prozent der Frauen und 12 Prozent der Männer, und "sinnlich" von 14 Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer gewählt. Bei "fremd", "interessant" und "emotional" waren sich die Geschlechter mit sechs, sieben und vierzehn Prozent wieder einig. Erstaunlicherweise fanden mehr Frauen als Männer die Filme "naiv" und "unkritisch", aber fast keine Frau bewertete sie als "schlecht", dafür aber 10 Prozent der Männer.

Grafik Assoziative Bewertung
Grafik zur assoziativen Bewertung Foto: Esther Welzk

Insgesamt ist zu sagen, dass die Meisten die Befragung gern und mit vielen Emotionen und Elan und auch allerlei Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten beantworteten. Hinter den meisten Männern, die zwar viele Filme kannten, diese aber "unheimlich schlecht" und "kitschig" fanden, stand nicht selten eine Bollywood-begeisterte Freundin, die sie dazu gebracht hatte, sie anzusehen. Anscheinend werden Bollywoodfilme im Deutschland immer noch als "Frauenfilme" wahrgenommen. Bedauerlich ist auch, dass die meisten gar kein anderes indisches Kino kennen.

Wenn jedoch das Interesse an Indien weiter stetig wächst und mehr indische Filme anderer Genres in der deutschen Öffentlichkeit gezeigt werden, wird sich sicher auch die breite Meinung zu ihnen ändern und das Publikum für ihr gesellschaftskritisches und politisches Potenzial sensibilisiert werden.

 

 

Fußnoten

[ 1 ] bis 1985: Ashish Rajadhyaksha, Paul Willemen: Encyclopaedia of Indian Cinema, Oxford University Press, New Delhi, revised edition 1999, S. 30-32; ab 1995: Weltfilmproduktionsbericht (Auszug), Screen Digest, Juni 2006, S. 205–207

[ 2 ] http://www.bollywoodportal.de/, Zugriff 11.05.2006, Autor unbekannt

[ 3 ] http://511.forum.onetwomax.de/, Zugriff 11.05.2006, Autor unbekannt

[ 4 ] ibid., Autor unbekannt

 

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Film in Südasien .

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